Die Dichterin von Aquitanien
schöne Geschichten erzählen kann. Aus keinem anderen Grund.«
Die Worte taten etwas weh, aber sie entsprachen ungefähr der Wahrheit.
»Mein Gott, dann ist sie wirklich eine Gauklerin!«, rief der Vater aus. »Du könntest hier im Dorf ein Mädchen mit angemessener Mitgift finden!«
Marie dachte an Aliénors Versprechen, dass Jean Land
bekommen sollte. Doch bisher war es leider nur ein Versprechen.
»Aber Jean ist jetzt ein Ritter, und Ritter heiraten gewöhnlich keine Bauerntöchter«, mischte Jeans Mutter sich entschlossen ins Gespräch. »Wir waren eine Ausnahme, mein Herz.«
Ihr Gemahl knurrte zustimmend, aber überaus zufrieden.
»Das Mädchen scheint nett, kein bisschen hochnäsig«, fuhr die Herrin des Hauses fort. »Egal, woher sie stammt und wer ihre Eltern sind, ich freue mich auf mein nächstes Enkelkind.«
Marie strich sich über den Bauch und atmete erleichtert auf.
»Was meinst du, Jean, bekomme ich auch ein paar von den Geschichten zu hören, mit denen die edle Herzogin unterhalten wird?«, fragte die Mutter.
»Mit Sicherheit, wenn du sie darum bittest. Aber lasst das Kind hier leben, bis wir es holen können. Ich will es nicht Maries Verwandtschaft überlassen«, erwiderte Jean.
»Natürlich kann es bleiben«, versicherte die resolute Bäuerin, ohne die Meinung ihres Mannes abzuwarten. Marie schloss erleichtert die Augen. Sie wollte nicht weiter lauschen, denn sie hatte alles erfahren, worauf es ankam.
Bald darauf erschien Jean in der Kammer.
»Wie gefällt dir meine Familie? Glaubst, du, dass du dich hier wohlfühlen wirst?«, fragte er.
Marie schluckte. Sie befand sich unter Fremden. Aber vermutlich war es hier besser als im Kloster.
»Es ist in Ordnung. Ich werde schon zurechtkommen«, sagte sie. Jean zog sie in seine Arme.
»Wenn du willst, dass ich bei dir bleibe, dann tue ich es. Auch wenn die Königin tausendfach wünscht, dass ich an den Hof zurückkehre, damit keine Gerüchte aufkommen.«
Marie schloss die Augen. Es gab keinen Menschen, dessen Nähe sie in den nächsten Monaten sehnlicher wünschte als ihn. Aber sie musste vernünftig sein.
»Wenn du Aliénor und Richard jetzt vor den Kopf stößt, bekommst du niemals ein Lehen«, erwiderte sie. »Wo sollen wir dann mit unserem Kind leben?«
Er seufzte, widersprach aber nicht. Marie legte den Kopf auf seine Brust und fühlte ihren Mut wachsen. Es würde schon gut gehen. Sobald Jean wieder nach Poitiers aufbrach, würde sie versuchen, seine Mutter zu unterhalten und ihr möglichst eine Hilfe sein. Vielleicht konnte sie dadurch lernen, einen Haushalt zu führen. Für ihr Kind wünschte sie sich ein derartiges Zuhause. Ganz gleich, wie lange es vielleicht hierbleiben musste, es würde ihm nicht schlecht ergehen.
»Ein Mädchen«, drang wie durch eine dicke Wand die Stimme von Jeans Mutter in Maries Bewusstsein. »Das habe ich mir selbst immer gewünscht, aber mir wurden nur Söhne geboren. Auch meine Enkel waren bisher alle männlich. Ich wusste, dass mein geliebter Jean der Erste sein wird, der mir meinen Herzenswunsch erfüllt.«
Marie schlug die Augen auf und erblickte die hölzernen Balken der Zimmerdecke.
»Wir werden sie Amélie nennen. So sollte jene Tochter heißen, die ich nie bekommen habe«, redete die frisch gebackene Großmutter weiter. Schwacher Protest stieg in Marie hoch, doch sie fühlte sich nach der Geburt zu zerschlagen und erschöpft, um nun dieser energischen Frau die Stirn zu bieten. Amélie klang schön, auch wenn sie gern selbst entschieden hätte, wie ihre Tochter hieß.
Mit einem winzigen, runzligen Wesen in ihren Armen setzte Jeans Mutter sich an die Bettkante.
»Du warst ein tapferes Mädchen. Die erste Geburt ist meistens die schwerste. Es ging allerdings recht schnell, das meinte auch die Hebamme. Du bist erstaunlich kräftig und gesund für eine höfische Dame.«
Die schlanken, aber kraftvollen Finger der älteren Frau drückten ihr Handgelenk. Marie atmete etwas leichter. In den vergangenen Monaten hatte sie zum ersten Mal erfahren, was mütterliche Fürsorge bedeuten konnte, war genau beobachtet, zu regelmäßigem Essen ermahnt und in jeder Hinsicht geschont worden. Nun, da die blauen Augen der Hausherrin strahlend auf dem Säugling ruhten, fragte Marie sich plötzlich, ob all dies wirklich ihretwegen geschehen war oder wegen des Kindes, das sie in ihrem Leib getragen hatte.
Sie beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken, denn dies hätte ihre Lage unnötig erschwert. Sie hatte
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