Die Dichterin von Aquitanien
es, Eindruck zu machen, das muss man ihr lassen«, flüsterte Emma unterwegs in Maries Ohr. »Ich frage mich, ob dieser Ring wirklich zufällig gefunden wurde. Wahrscheinlich hat sie das alles vorher eingefädelt. Der Ring ist völlig neu, wurde von einem Goldschmied heimlich angefertigt.«
Marie war es gleichgültig, woher dieser Ring stammte. Seitdem sie ihr Kind geboren und fortgegeben hatte, plagte sie immer wiederkehrender Schmerz in ihrem Unterleib, als sei ein Teil ihrer Selbst gewaltsam abgetrennt worden. Nur die Wärme von Jeans Umarmung vermochte ihn zu lindern. Sie blickte sich um und suchte unter den vielen Menschen, die hinter ihnen her gingen, sein Gesicht.
»Du erträgst es keinen Augenblick, von dem Ritter deines Herzens getrennt zu sein, kluge Nichte«, spottete Emma. Doch auch ihre Augen wanderten ungeduldig über zahllose Gefolgsleute. Ihre Tante hatte nun einen Verehrer namens Foulques de Matha. Er war eine weniger eindrucksvolle Erscheinung als Régnier de Rancon, bescheidener in seinem Auftreten, doch schien ihm wirklich an Emma gelegen, denn er blickte bei jeder Gelegenheit in ihre Richtung. Nun tauchte er ein Stück neben Jean auf, ein breitschultriger Mann mit hellbraunem Haar und durchaus angenehmen Gesichtszügen. Marie wünschte ihrer Tante diesmal Glück, obwohl mehr als eine heimliche Liebschaft kaum möglich war. Emma würde niemals freiwillig in eine halb verfallene Burg ziehen, und auch Foulques schien nicht vermögend.
»So, nun beginnt das große Schauspiel«, riss die Stimme ihrer Tante sie aus diesen Gedanken, als sie sich neben der Königin im Chorraum der Kirche niedergelassen hatten.
Richard kniete vor dem Altar nieder, wo er nun das Schwert und die Sporen des Herzogs erhielt. Mit leiser, aber sicherer Stimme leistete er seinen Eid, die Kirche stets zu beschützen. Dann las der Bischof die Messe. Marie vergaß Emmas spöttische Bemerkungen, denn die festliche Stimmung ergriff langsam von ihr Besitz. Chorknaben erfüllten das Gebäude mit ihrem hellen, fast überirdischen Gesang. Die bunten Farben der Fenster funkelten wie Juwelen. Weihrauch betörte die Sinne. Für eine Weile konnte sie alle Sorgen und gar die Sehnsucht nach ihrer Tochter vergessen, denn sie fühlte sich dem Himmel nahe. Ein Stück neben sich erblickte sie die Umrisse von Aliénors Gesicht. Trotz aller Falten, die sich nun mit erbarmungsloser Deutlichkeit um ihre Mundwinkel und unter ihre Augen gegraben hatten, war die Königin immer noch schön wie eine zur Vollkommenheit gemeißelte Statue. Es schien vor Stolz und Glück gerade zu leuchten. Dies war der Tag, auf den Aliénor gewartet hatte, seitdem sie wieder nach Aquitanien zurückgekehrt war. Richard, ihr Goldjunge, wurde zu ihrem Nachfolger.
Trotz aller Ergriffenheit ertappte Marie sich bei einem sehr nüchternen, fast widerspenstigen Gedanken. Würde Aliénor Richard ebenso lieben, wenn er hässlich, dumm und ein miserabler Kämpfer wäre? Sie zweifelte daran und nahm sich vor, Amélie niemals abzulehnen, was auch immer aus ihr werden sollte.
Am Ende der Messe legte Richard die Insignien des Herzogs wieder am Altar ab und schritt aus der Kathedrale hinaus. Aliénor erhob sich ebenfalls. Ihre Damen folgten. Das helle Tageslicht blendete, der Lärm der Menschenmenge mit ihren Musikanten und Gauklern schmerzte nach der feierlichen
Messe in den Ohren. Es war Juni und sommerlich warm. Stürmische Jubelrufe begrüßten den neuen Herzog. Marie griff in den Beutel, den sie von Aliénor erhalten hatte, um Almosen in schmutzige Hände zu verteilen. Plötzlich tauchte ein vertrautes Gesicht in der bunten Menge auf. Dunkle, schattige Augen, dichtes Kraushaar und schwungvolle, feine Züge. Meir, der Sohn des jüdischen Arztes aus Poitiers, war zur Krönung gekommen, auch wenn er es vermieden hatte, eine christliche Kathedrale zu betreten. Marie sah, wie Richards Miene sich erhellte, sobald er seinen Freund erblickte. Zum ersten Mal an jenem Tag lächelte der ernste, stolze Herzog von Aquitanien.
Eine riesige Feier folgte auf die Krönung. Bernhard de Ventadorn, der Liebesdichter, und sein kriegerischer Rivale Bertrand de Born wechselten einander mit Darbietungen ab und wetteiferten um Applaus. Richard nahm den Treueid seiner Vasallen entgegen, die für treulose Rebellionen bekannt waren. Aliénor schien die eigentliche Herrin des Tages, denn sie thronte mit strahlender Miene an der Seite ihres Sohnes.
»Von diesem Tag wird man noch lange reden. Und wir waren
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