Die Dichterin von Aquitanien
gegenüber Jeans Mutter jenes Verhalten an den Tag gelegt, dass sie als Aliénors Gefolgsdame zur Genüge gelernt hatte, war hilfsbereit und respektvoll aufgetreten, ohne übertrieben zu schmeicheln oder in Heuchelei zu verfallen. So war es ihnen beiden gelungen, miteinander auszukommen. Immerhin hatte sie beobachten können, wie die Hausherrin ihre Knechte und Mägde überwachte, sie durch Lob und Belohnungen zu fleißiger Arbeit anspornte und gar Rügen verteilen konnte, ohne dadurch Bitterkeit in ihnen zu wecken. All dies würde ihr eines Tages nützlich sein, wenn sie ihre eigene Burg verwaltete, befand Marie. Dann hätte sie ihre Tochter auch bei sich.
Sie streckte die Arme nach dem Neugeborenen aus, und nach einem kurzen Zögern wurde es ihr überreicht. Kreisrunde, blaue Augen sahen sie aus einem roten, faltigen Gesicht an, das uralt wirkte. Auf einmal schien es Marie ein großartiges, unglaubliches Wunder, dass Jean und sie selbst gemeinsam einen neuen Menschen hatten entstehen lassen. Sie drückte das kleine Wesen an sich. Es begann zu schreien.
»Ich glaube, du hältst sie falsch«, mahnte Jeans Mutter. »Oder aber sie hat Hunger.«
Marie begann die Chemise von ihren Schultern zu ziehen. In Huguet hatte sie gesehen, wie Mütter ihre Neugeborenen an der Brust saugen ließen, doch die Hausherrin riss fassungslos die Augen auf.
»Aber höfische Damen stillen ihre Kinder doch nicht!«, rief sie. »Ich habe bereits eine Amme besorgt, die unten wartet. Gewöhne das Kind nicht zu sehr an dich, Marie. Du wirst doch bald schon wieder abreisen.«
Marie holte empört Luft, um nun wirklich zu einem Widerspruch anzusetzen, doch ihr Verstand hinderte sie daran. Sie würde tatsächlich nicht viel Zeit mit ihrem Kind verbringen können, denn sie durfte Aliénor nicht verärgern, indem sie dem Hof fernblieb. Sobald sie wieder bei Kräften war, musste sie nach Poitiers zurück.
Niedergeschlagen übergab sie ihre Tochter erneut der Großmutter, die sie sogleich zu wiegen begann. Das Schreien verstummte. Diese Frau hatte Erfahrung mit Kindern, wurde Marie bewusst. Zunächst hatte sie gehofft, von ihr lernen zu können.
»Du musst dich jetzt ausruhen«, meinte Jeans Mutter mit einem sanften Lächeln, während sie zur Tür ging. »Ich bringe Amélie zu der Amme. Dann schicke ich dir eine Magd mit einer kräftigen Brühe vorbei. Du solltest bald wieder auf die Beine kommen, Marie. Jean wartet in Poitiers auf dich.«
Die letzten Worte trösteten Marie ein wenig, als die Tür zufiel. Sie konnte es kaum erwarten, Jean zu erzählen, dass sie eine Tochter hatten. Und irgendwann würden sie diese Tochter zu sich holen. Selbst wenn sie allein nicht viel bewirken konnte, so würde diese resolute Weinbäuerin sich den Wünschen ihres Sohnes nicht verweigern können.
8. Kapitel
S onnenstrahlen erhellten die Reliefs des Eingangstors der Kathedrale Saint Etienne in Limoges und ließen den scharlachroten Talar des Bischofs leuchten. In einer Tunika aus weißer Seide kniete Richard nieder und streckte seine Hand aus, um sich den Ring der heiligen Valerie, der Schutzpatronin der Stadt, überstreifen zu lassen. Angeblich war dieser Ring erst vor Kurzem in einem Kloster entdeckt worden, und Aliénor hatte sofort die Möglichkeit einer glanzvollen Zeremonie erkannt. Richards eigentliche Krönung in Poitiers war bescheiden gewesen im Vergleich zu der Feier, die nun stattfand. Eine unüberschaubare Menge aus Bauern, Kaufleuten, Bettlern und wohlhabenden Herrschaften war eingetroffen, um zu sehen, wie ihr neuer Herzog sich mit seinem Land vermählte.
Marie stand zwischen Emma und Marguerite dicht hinter der Königin. Sie hatte einen neuen Bliaut aus taubenblauer Seide erhalten, und auf ihrem Haar, das gemäß Aliénors Vorschlag in zwei kunstvolle Knoten geflochten worden war, lag ein fast durchsichtiger, mit Blüten bestickter Schleier. Eine Kette aus blitzenden Saphiren hing um ihren Hals, jene Schmucksteine, die auch das Gold ihres Haarreifs zierten. Sie gehörte wieder zu all jenen Menschen, deren wesentliche Aufgabe es war, den Glanz und Reichtum von Aliénors Hof darzustellen.
Der Bischof legte die Krone des Herzogs auf Richards
Haupt und überreichte ihm das Banner. Begeisterte Rufe erklangen, während der Bischof nun die Kirche betrat, aus der bereits Hymnen nach draußen drangen. Richard folgte mit ehrerbietigem Abstand, und auch sein Gefolge aus Höflingen, Damen, Geistlichen und Rittern setzte sich in Bewegung.
»Sie versteht
Weitere Kostenlose Bücher