Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
Vom Netzwerk:
unsere Tochter soll ihren Vater an ihrer Seite haben, wenn sie heranwächst. Falls du die Harfe nicht mehr spielen kannst, werde ich es tun, und du solltest dazu singen, denn deine Stimme ist besser als meine.«
    Sie legte den Kopf auf seine Brust und nahm erleichtert wahr, dass er ihr Haar streichelte.
    »Ohne meinen Arm bekomme ich niemals Land, Marie. Ich kann nicht für euch sorgen. Es wäre besser, wenn du einen anderen Mann findest. Was willst du mit einem Krüppel?«
    Wütend fuhr sie auf.
    »Ich habe meine Stellung bei der Königin gefährdet, um
dein Leben zu retten! Du bist mir wichtiger als Wohlstand und Ansehen. Jetzt sage bitte nicht, es sei für dich anders.«
    Seine Augenlider zuckten.
    »Ich liebe dich«, sagte er zum allerersten Mal. »Aber was soll an der Seite eines Ritters, der nicht mehr kämpfen kann, aus dir werden?«
    Sie schüttelte den Kopf und legte ihre Hände auf seine Wangen, wo hellblonder Bart wucherte.
    »Wir werden überleben, Jean. Auch ohne die Gunst irgendwelcher Herrscher. Wenn es nicht anders geht, treten wir als Geschichtenerzähler und Sänger auf Marktplätzen auf.«
    »Wer springt durch den Reifen?«, scherzte er.
    »Du natürlich. Ich breche mir dabei das Genick. Davor sollte ein Ritter seine Dame nun wirklich beschützen.«
    Seine Finger fuhren ihren Rücken entlang.
    »Ich kann mich auch hinter den Reifen stellen und die Dame auffangen, denn sie ist ein Leichtgewicht.«
    »Das könnte sich irgendwann ändern, wenn wir gut verdienen«, meinte Marie und stieß leicht gegen sein Bein. Als er nicht einmal zusammenfuhr, streckte sie sich erleichtert neben ihm aus. Zwar fühlte sein Körper sich noch unnatürlich warm an, aber er schien nicht mehr von innen zu verbrennen. Zaghaft keimte die Hoffnung in ihr auf.
     
    Am Abend stieg das Fieber erneut. Marie rief entsetzt nach dem Arzt, wodurch sie ein paar Diener aufschreckte, die durch die Tür spähten. Sie wiederholte ihre Bitte, David ben Jehuda zu sehen, doch war sie sich nicht sicher, ob sie verstanden wurde. Nach einer endlosen Zeit des Wartens erschien der Arzt tatsächlich, um einen Blick auf seinen Patienten zu werfen. Seine unbewegte Miene beruhigte sie ein wenig.

    »Des Abends wird Fieber gewöhnlich schlimmer«, meinte er nur und trug nochmals die Salbe auf. Dann ließ er Marie Fladenbrot und eine Linsensuppe bringen, die sie Jean einflößte, bevor sie selbst davon aß. Die wohlige Wärme in ihrem Bauch machte ihr klar, wie hungrig sie gewesen sein musste.
     
    Die Tage zogen dahin. Marie wechselte zweimal täglich die Laken, da Jean weiter unter heftigen Fieberanfällen litt und nicht immer in der Lage war, den Nachttopf zu benutzen. Sie rollte verschmutztes Leinen zu Bündeln, die sie in der Zimmerecke ablegte, bis der dunkelhäutige Diener sich wieder blicken ließ. Jeden Morgen wurde warmes Wasser und eine nach Oliven duftende Seife hereingetragen, sodass sie sich selbst und auch Jean waschen konnte. Getrockneten Schweiß sowie Reste von Kot und Urin von der Haut eines Geliebten zu waschen, waren Dinge, von denen sie in keinem Lai jemals würde erzählen können, schoss ihr dabei manchmal durch den Kopf, und sie staunte, dass dieser Gedanke sie zum Schmunzeln brachte. Glücklicherweise waren die Fenster groß und ließen viel frische Luft herein, die mit der Zeit kühler zu werden begann. Manchmal prasselte Regen gegen das Gemäuer, und Wind pfiff aus der Ferne. Maries Leben beschränkte sich auf vier Wände. Der Rest der Welt bestand nur noch aus Geräuschen. Schritte huschten vor der Tür vorbei. Manchmal drangen Gesänge an ihr Ohr, Stimmen murmelten in der fremden Sprache der Juden eine Litanei. Wenn Jean sich besser fühlte, plauderte sie mit ihm und erzählte Geschichten. Doch das Fieber war hartnäckig wie ein hungriger Wolf. Sobald es durch heftige Gegenwehr zurückgedrängt worden war, lauerte es nur auf einen günstigen Augenblick, um erneut anzugreifen. David ben Jehuda mahnte zur Geduld. Marie staunte, wie schnell
dieser fremde Jude zu einem unerlässlichen Bestandteil ihres Lebens geworden war. Von Tag zu Tag wuchs seine Bedeutung, bis er schließlich einem allmächtigen, gottgleichen Wesen glich, von dessen Geschick ihr Glück abhing. Dabei redete er nur das Allernötigste, warf ihr knappe Blicke zu, wenn sie sich mit Fragen an ihn wandte. Zumindest sprach er nicht mehr von einer Amputation, was ein gutes Zeichen schien. Als die Sommerhitze endgültig verschwunden war, wurden auch die

Weitere Kostenlose Bücher