Die Dichterin von Aquitanien
Fieberanfälle seltener und schwächer, während die rote Schwellung an Jeans Arm langsam verblasste. Über seiner Wunde begann eine dicke Kruste zu wachsen, die das offene Fleisch immer weiter unter sich begrub. Eines Nachts erwachte sie von der Berührung seiner Lippen auf ihrem Gesicht.
»Ich glaube, ich habe kein Fieber mehr, Marie«, flüsterte er ihr ins Ohr. Sie fuhr mit der Hand über seine Stirn und lachte vor Freude, denn sie fühlte sich so kühl an wie ihre eigene. Im Mondlicht schien der Blick seiner Augen völlig klar.
»Das hier ist ein jüdisches Haus, nicht wahr? Oder habe ich alles nur geträumt?«, fragte Jean.
Sie nickte. »David ben Jehuda, der Arzt, der damals den Ritter William rettete, hat sich auch um dich gekümmert.«
Er schüttelte erstaunt den Kopf.
»Ich dachte, ich hätte sein Gesicht gesehen, hielt es aber für Einbildung. Wie willst du ihn bezahlen?«
»Ich weiß es nicht«, gestand sie. »Er hat von keinem Preis gesprochen, als wir hier ankamen. Ich flehte ihn einfach an, mir zu helfen, und ich glaube, er merkte, dass ich am Ende meiner Kräfte war. Dann sah er dich in dem Karren liegen und ließ uns herein. Wir werden hier nur geduldet, aber das schon ziemlich lange.«
Jean rollte sich zur Seite.
»Wenn er aus reiner Menschenliebe heilen würde, dann
hätte dieses Haus keine Tür mehr. Die Armen der Stadt und des Umlands hätten sie ihm schon lange eingerannt.«
Marie musste lachen.
»Er ist nur zu Gast in Tours. Kaum jemand weiß davon. Außerdem dürften viele Leute Bedenken haben, einen jüdischen Arzt aufzusuchen. Die Kirche verbietet es.«
Er lehnte sich auf den Ellbogen seines gesunden Arms. Der Blick seiner Augen war weich wie ein Streicheln.
»Du hast es aber getan.«
»Ich nahm mir ein Beispiel an Aliénor«, erwiderte sie wahrheitsgemäß. »Und um dich retten, hätte ich den Teufel persönlich um Hilfe angefleht. Nur scheint dieser Mann keineswegs ein Teufel. Er glaubt an seine fremden Traditionen, doch er ist klug und hilfsbereit.«
Jeans Kopf sank auf ihre Schulter.
»Du hast mein Leben gerettet, kleine Elfe. Diese anderen Heiler und Bader hätten mich langsam zu Tode gepflegt. Frage mich bitte niemals wieder, was ich an dir finde.«
Sie schlang die Arme um seinen Körper und stieß einen Seufzer aus, als seine Hände unter ihre Chemise glitten. Seine Lippen auf den ihren waren so vertraut, als hätte es niemals einen Krieg und eine Trennung gegeben. Marie spreizte sehnsüchtig ihre Beine. Sie hatte den Geliebten nicht verloren.
»Du solltest dich jetzt nicht zu sehr anstrengen«, flüsterte sie und kicherte.
»Diese Art der Anstrengung erscheint mir ausgesprochen heilsam«, erwiderte er und biss sie sanft in den Hals. Marie dachte, dass der berühmte Heilkundige Avicenna dem wohl zugestimmt hätte.
Am nächsten Morgen schlief sie zum ersten Mal, bis das Tageslicht den Raum überflutet hatte. Als sie die Augen aufschlug, standen Fladenbrot, Käse und Früchte bereits auf
dem Tisch. Der Diener musste hereingeschlichen sein, ohne sie zu wecken.
»Großartig. Ich habe einen Riesenhunger!«, hörte sie Jean rufen. Sie sprang auf und trug das Essen zum Bett, wo sie es gemeinsam einnahmen.
Ein leises Klopfen an der Tür unterbrach ihr Morgenmahl. Marie zog sich rasch ihre Chemise über, wickelte eine Decke um ihre Schultern und öffnete die Tür, um David ben Jehuda mitzuteilen, dass Jean endgültig genesen war.
Doch nicht der Arzt stand in der Tür, sondern sein Sohn. Meir wirkte fremd in dem bodenlangen Gewand, das hier alle Männer trugen. Während der Zeit an Aliénors Hof hatte er sich die Schläfenlocken abgeschnitten, doch nun waren sie wieder gewachsen. Er war kein vertrautes Gesicht an der Tafel von Poitiers mehr, sondern hatte sich in einen Juden vom Scheitel bis zur Sohle verwandelt.
»Darf ich hereinkommen, Ma Dame Marie?«, fragte er mit einer schwungvollen Verbeugung, die ihn für einen kurzen Augenblick wieder zum Höfling machte. Sie nickte verwirrt. Was mochte dieser junge Mann wollen, den sie zum letzten Mal blutig geschlagen in Chinon gesehen hatte und der bisher keinerlei Verlangen gezeigt hatte, sie aufzusuchen?
»Osman erzählte uns, dass der Ritter gesund scheint«, begann Meir, während er auf einem Diwan Platz nahm. Marie sah sich unschlüssig ebenfalls nach einer Sitzgelegenheit um, sank schließlich auf die Bettkante neben Jean. Der Diener musste ihre eng umschlungenen, nackten Körper gesehen haben, als er das Essen
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