Die Dichterin von Aquitanien
Heilkunst.«
»Das ist mir bewusst. Doch scheint Ihr seiner Seele gutzutun.
Eine der größten und ungewöhnlichsten Erkenntnisse des berühmten Avicenna bestand darin, einen Zusammenhang zwischen dem Wohlbefinden der Seele und dem des Körpers zu entdecken.«
Marie war nicht wirklich überrascht, denn dieser Gelehrte hatte in Worte gefasst, was viele Menschen wohl in ihrem Inneren ahnten. Doch gewann David ben Jehuda endgültig ihr Vertrauen, indem er weniger kalt erschien als der Mönch und der Bader.
Sie hörte ihn in einer fremden Sprache rufen. Ein kleinwüchsiger Bursche mit auffallend dunkler Haut betrat das Gemach. Ebenso wie der Arzt trug er ein langes, weites Gewand, das einer Mönchskutte ähnelte. Sein Blick wanderte nur kurz zu Marie, dann lief er los und brachte alle erforderlichen Zutaten. Sie sah, wie David ben Jehuda schnitt, mischte und die Salbe mit Sorgfalt auf die Wunde strich. Jeans Hand lag weiter in der ihren, auch wenn seine Augen ins Leere blickten, und er nicht wahrnahm, was um ihn geschah. Ganz langsam verbreitete ein Gefühl der Ruhe sich in ihrem Körper. Alles, was nun zählte, war der vor Fieber brennende Mann an ihrer Seite. Sie wollte ihn und ihre Tochter bei sich haben, dann würde sie sehen, was die Zukunft ihr noch für Möglichkeiten ließ.
»Nun müssen wir hoffen, dass die Entzündung der Wunde heilt und das Fieber sinkt«, drang die Stimme David ben Jehudas in ihr Bewusstsein. »Ruht Euch selbst ein wenig aus, Ma Dame, Ihr wirkt ausgezehrt. Ich werde Euch Speisen bringen lassen, außerdem einen Nachttopf, den eine Bedienstete regelmäßig leeren wird, ebenso wie sie die Laken des Kranken wechselt. Ich muss Euch bitten, diesen Raum nicht zu verlassen.«
Marie nickte. Sie hatte bereits begriffen, dass sie in diesem Haus nicht wirklich erwünscht war.
»Ich danke Euch für Eure Hilfe. Wenn Ihr mir frische Laken bringt, Wasser und Seife, kann ich das Krankenbett selbst sauber halten.«
Die buschigen Brauen zuckten nach oben.
»Ihr seid sehr einsichtig für eine königliche Dame«, meinte er anerkennend. »Seid Ihr nicht diese Dichterin von Liebesgeschichten, von der mein Sohn mir erzählte?«
Marie nickte. All dies schien ihr jedoch Teil eines vergangenen Lebens.
»Ich kenne einige Eurer Werke«, gestand David ben Jehuda. »Mir war, als lese ich von lebendigen Menschen statt unbesiegbaren Helden und edlen, tugendhaften Damen wie in anderen christlichen Rittergeschichten.«
Nun wurde Maries Herzschlag wieder etwas schneller, und sie fühlte ein stolzes Brennen auf ihren Wangen. Egal, in welcher Lage sie sich befand, tief in ihrem Inneren würde sie wohl immer eine Dichterin bleiben.
»Allerdings würde ich solche ehebrecherischen Liebesgeschichten nicht meiner Tochter zu lesen geben. Sie sind, wie soll ich sagen, ein wenig aufwieglerisch«, fügte David ben Jehuda hinzu, während er sich in einem Becken die Hände wusch. Marie nahm seine Worte hin, obwohl sich Widerspruch in ihr regte. Auch jüdische Mädchen sollten offenbar gemäß den Wünschen des Familienoberhaupts heiraten und dieses Los einfach hinnehmen. Höflich erwiderte sie das Nicken, mit dem der Arzt den Raum verließ. Dann legte sich sie neben Jean auf das Bett. Der Schlaf legte sich wie ein schweres Tuch über sie.
»Marie!«
Sie schlug die Augen auf und musterte ihre Umgebung. Es war ein schönes Zimmer, doch völlig fremd.
»Marie, mein Arm!«
Die Worte holten sie in die Wirklichkeit zurück. Ihre Kehle schnürte sich zusammen.
»Sind die Schmerzen schlimmer geworden?«, fragte sie und blickte in Jeans Gesicht. Es schien fast so weiß wie das Laken, auf dem er lag, doch der Blick der blauen Augen erleichterte sie durch seine Klarheit. Das Fieber musste gesunken sein.
»Er darf mir nicht den Arm abschneiden. Lieber sterbe ich«, stieß Jean mühsam hervor. Er hatte wohl doch etwas von ihrem Gespräch mit David ben Jehuda mitbekommen. Marie ergriff ein Tuch, tauchte es in das Wasserbecken, wusch die klebrige Schweißschicht von seinem Gesicht und befeuchtete die aufgerissenen Lippen.
»Er wird den Arm nur amputieren, wenn es notwendig ist, um dein Leben zu retten«, beruhigte sie ihn. »Und er wird dir ein Mittel gegen die Schmerzen geben.«
»Ich bin nutzlos ohne meinen rechten Arm. Ich kann kein Schwert führen, ja nicht einmal die Harfe spielen«, rief er mit einem bitteren Lachen. »Lieber wäre ich tot.«
Marie erstarrte.
»Für mich wirst du nicht nutzlos sein!«, schrie sie. »Und
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