Die Dichterin von Aquitanien
zusammen mit Richard und Raoul de Faye und all ihren anderen Mitverschwörern!«, schrie sie. Hawisas kreidebleiches Gesicht machte Marie klar, dass sie gerade eben den allergrößten Fehler ihres Lebens begangen hatte. Aliénor mochte ihr neugierige Fragen und kritische Bemerkungen vergeben, doch falls ein Neider diese Worte gehört hatte und sie der Königin zutrug, war ihre Stellung bei Hofe endgültig gefährdet. Sie staunte, dass sie keinen Hauch von Furcht verspürte. Es kam ihr nur noch darauf an, Jean am Leben zu halten. Sie würden Amélie holen und in eine Hütte ziehen, wenn es nicht anders ging.
»Besorge mir einen Karren«, sagte sie nochmals zu Hawisa, die stumm nickte. Dann betrat die Zofe das Schlafgemach und stieß einen leisen Schrei aus, als sie den von Fieber geschüttelten Jean erblickte.
»Marie, er könnte unterwegs sterben.«
»Dann wird sein letztes Bild von dieser Welt der freie Himmel sein und keine graue Steinwand.«
Das Haus war geräumig und bequem eingerichtet. Teppiche lagen auf dem Boden, obwohl sie zu schön schienen, um sie mit Fußtritten zu besudeln. Die Möbel wiesen prächtige
Schnitzereien auf, und weiche Diwane luden zum Verweilen ein. Große Fenster mit hölzernen Läden ließen großzügig Tageslicht herein. Marie erblickte einige Männer mit Locken an ihren Schläfen, die sie abschätzig musterten. Im Hintergrund standen Frauen, deren Schleier bis tief in die Stirn gezogen waren und die ihre Gesichter abwandten. Missmutiges Murmeln begleitete ihren Eintritt in das Haus eines Juden, doch schien David ben Jehuda genug Autorität zu besitzen, um es sehr leise bleiben zu lassen.
Jean wurde in ein kleines Gemach getragen und auf ein Bett gelegt. Marie beobachtete angespannt die Gesichtszüge des Arztes, der sich über die Wunde beugte. Er brummte etwas in einer unverständlichen Sprache. Es klang wie ein Fluch.
»Wurde die Wunde ausgebrannt?«
»Ja, zweimal. In der Zwischenzeit trug ein Mönch eine Salbe mit Schimmel auf.«
David ben Jehuda wandte sich zu ihr um. Er sah fremd aus mit seinem schmalen, dunklen Gesicht und den umschatteten Augen, doch konnte sie ihn endgültig nicht mehr für einen Mörder halten, denn ein einziger Blick auf einen fiebernden Mann, der mitten im Stroh eines gewöhnlichen Karrens lag, hatte genügt, um ihnen Eintritt in dieses Haus zu verschaffen. Sie bemerkte schiefe Zähne, als er erneut zum Reden ansetzte.
»Der Schimmel hat geholfen. Aber das Ausbrennen machte dies wieder zunichte. Die Wunde hätte gleich gereinigt und vernäht werden sollen. Dieser Schmerz hätte einen Sinn gehabt.«
Marie wünschte sich den Bader herbei, um ihn sein heißes Brenneisen ins Gesicht schlagen zu können, auch wenn dieser Mann nur getan hatte, was allgemein als hilfreich galt. David ben Jehuda zog ein Buch aus seinem reichen Bestand
und hielt es Marie hin, als wolle er ihr beweisen, dass er verstand, wovon er sprach.
»Abu ibn Sina, hierzulande Avicenna genannt«, erklärte er. »Ein Meister der Heilkunst und Philosophie. Er schlägt verschiedene Salben bei Entzündungen vor. Granatapfel und gekochter Rotwein, doch sind Granatäpfel hier nicht leicht zu bekommen. Wermut, Weizenmehl, Honig und gekochtes Schweineschmalz hingegen kann ich auftreiben. Außerdem brauchen wir kühle Umschläge gegen das Fieber. Dann betet zu Eurem Herrgott, dass er Eurem Recken eine Amputation des rechten Armes erspart.«
Marie fühlte, wie ihre Knie schwach wurden. Sie zwang sich zur Ruhe, denn ein schreiendes, wimmerndes Weib würde die Lage für alle Beteiligten unnötig verschlimmern. Wenn eine Amputation nötig war, konnte sie wenigstens Jeans Leben retten.
»Benutzt Ihr dabei Mittel gegen die Schmerzen?«, fragte sie nur, denn Jeans gellender Schrei beim Ausbrennen schmerzte immer noch in ihren Ohren. David ben Jehuda warf ihr einen finsteren Blick zu.
»Meint Ihr, ich höre meine Patienten gern schreien? Mit Schlafmohn getränkte Schwämme sorgen dafür, dass sie von dem Eingriff nichts mitbekommen.«
Langsam beruhigte sich ihr Atem. Jeans Lider flackerten, und er wälzte sich auf dem weißen Laken. Marie sank an seine Seite, obwohl sie nicht sicher war, ob er seine Umgebung überhaupt wahrnahm. Als sie sanft über seine gesunden Arm strich, krallten seine Finger sich erneut in ihre Hand.
David ben Jehuda musterte sie beide nachdenklich.
»Bleibt stets bei ihm, Ma Dame. Das könnte helfen.«
Marie riss die Augen auf.
»Ich verstehe nichts von der
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