Die Dichterin von Aquitanien
aufgehoben wurde? Bei einem gemeinsamen Mahl hatte er Gemahlin und Töchter besser unter Kontrolle, wenn sie neben der Verfasserin aufwieglerischer Schriften saßen.
»Es wird uns eine Freude sein, gemeinsam mit Eurer Familie zu speisen«, sagte Jean nun. Meir nickte zufrieden und verließ den Raum.
David ben Jehuda erschien kurz, um sich Jean anzusehen, und bestätigte Maries Hoffnung, dass die Wunde keine Gefahr mehr darstellte.
»Ich müsste bald aufbrechen. Ich habe Verpflichtungen«, drängte Jean zu ihrem Missfallen. Sie war erleichtert, als der Arzt die Stirn runzelte und den Kopf schüttelte.
»Ihr solltet noch ruhen. Ein geschwächter Ritter taugt nicht zum Kampf.«
»Aber …«, setzte Jean zum Protest an. Marie fiel ihm ins Wort.
»In einer Woche reisen wir ab. Länger können wir nicht
warten. Was Eure Entlohnung betrifft, mein Herr, so werde ich, sobald ich in Poitiers bin …«
»Ich habe niemals eine Entlohnung von Euch verlangt«, unterbrach David ben Jehuda sie. »Ihr wart in Not und habt mir und meinen Leuten großes Vertrauen entgegengebracht, indem Ihr hierherkamt. Ich bin kein Blutsauger, Ma Dame, ganz gleich, was man meinem Volk nachsagen mag.«
Marie fühlte, wie ihre Wangen beschämt zu brennen begannen. Gleichzeitig wallte Zorn in ihr auf. Warum sollte es eine Beleidigung für einen Arzt darstellen, wenn sie ihn für seine Arbeit bezahlen wollte?
»Ich hielt es für meine Pflicht, Menschen in Not zu helfen«, fuhr er fort, als ahne er ihre Gedanken. »Ich bitte Euch nur, ebendies auch für meine Leute zu tun, wenn sich Euch die Gelegenheit dazu bietet. Ihr seid eine begabte Dichterin, deren Werk den Mächtigen dieser Welt zu gefallen vermag. Dies verleiht Euch ein wenig Einfluss.«
Marie fragte sich, ob er diesen Einfluss nicht überschätzte. Aliénor hatte sie bei politischen Entscheidungen niemals nach ihrer Meinung gefragt. Trotzdem versprach sie David ben Jehuda, seine Bitte niemals zu vergessen. Jean richtete sich auf und schwor auf seine Ritterehre, was Marie eine etwas übertrieben ernste Geste schien.
Sie begleitete den Arzt zur Tür, wo er sich noch einmal zu ihr umwandte.
»Mein Sohn sagte, Ihr wäret bereit, die Einladung meiner Gemahlin anzunehmen. Damit erweist Ihr meiner Familie eine große Ehre. Der Diener wird Euch frische Kleidung bringen.«
Als die Tür zugefallen war, drehte sie sich ratlos zu Jean um.
»Jetzt haben wir zugesagt. Hast du jemals in einem jüdischen Haus gegessen? Ich hoffe, wir blamieren uns nicht.«
Er verzog das Gesicht und grinste.
»Falls ja, bestätigen wir wohl ihre heimliche Vermutung, dass alle Christen Barbaren sind. Vielleicht machen wir ihnen gerade dadurch eine Freude. Jedenfalls war ihr Essen bisher durchaus genießbar.«
Marie lachte. Sie legte sich zu ihm aufs Bett und schloss ihn in die Arme. Plötzlich wünschte sie sich, noch viele Wochen, Monate oder gar Jahre in diesem Raum bleiben zu können, wo es keine Königin, keinen Hofstaat und keinen Krieg gab, sondern nur sie beide.
Das Mahl fand in einem kleinen Raum statt. Neben Jean und Marie saßen nur fünf weitere Personen am Tisch, obwohl sie sich sicher war, dass noch mehr Menschen hier wohnten. Nicht alle von ihnen waren offensichtlich bereit, mit einem christlichen Ritter und seiner Dame zu speisen. David ben Jehuda stellte die Frauen seiner Familie vor, deren Namen fremd und märchenhaft klangen. Hadessa war seine Gemahlin, die Töchter hießen Orovida und Jamila. Sie waren in lange, schlichte Gewänder gehüllt und hatten ihr Haar unter Tüchern verborgen. Obwohl sie den Blick meist gesenkt hielten, spürte Marie, dass sie aus den Augenwinkeln neugierig gemustert wurde. Sie trug den braunen Bliaut, in dem sie angekommen war und den der Diener ihr frisch gewaschen gebracht hatte. Ihr sorgfältig gebürstetes Haar wallte frei über ihre Schultern, denn in ihrem hastigen Aufbruch aus Poitiers hatte sie den üblichen Schleier vergessen. Jean hatte jenen Kittel erhalten, in dem alle Männer hier herumliefen. Er war am Kragen mit Stickereien verziert und wurde mit einem Gürtel zusammengebunden. Die Füße steckten in weichen Pantoffeln.
Auf Gebete jeglicher Art wurde verzichtet. Osman trug eine Hühnersuppe auf, wie sie Jean regelmäßig eingeflößt
worden war. In verlegenem Schweigen begannen alle Anwesenden zu essen.
»Habt Ihr Neuigkeiten, wie der Krieg inzwischen verlaufen ist?«, unterbrach Jean die Stille. Marie fragte sich, ob dieses Thema hier
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