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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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in Southampton als Erster gesprochen hatte. Er war groß und dunkelhaarig, hatte feine Gesichtszüge, und die auffallend langen Finger seiner linken Hand krampften sich nervös in die schlichte graue Kutte, die an seinem Körper hinabhing. An der anderen Hand hielt er einen kleinen Jungen, den ältesten Königssohn, wie Torqueri erklärte. Er war dem einstigen Kanzler und neuen Erzbischof Thomas Becket zur Erziehung anvertraut worden.
    Torqueri flüsterte Marie zu: »Er war stets ein Mann, der das Leben und den Genuss liebte. Beinahe so eitel wie Aliénor. Nun trägt er ein Büßergewand«
    »Gott sprach zu ihm und wurde erhört«, kam es etwas hochtrabend von Joycelin de Gourges, jenem Herrn im Priestergewand, der sich mit Vorliebe an Torqueris Seite aufhielt.
    »Manchmal kann ein Mensch die Stimme des Eigensinns und des Stolzes mit der Gottes verwechseln«, erwiderte Torqueri.
    Während zahlreiche Stimmen ein »Vivat Rex!« anstimmten, beobachtete Marie, wie der große, königliche Bär seine Schritte beschleunigte und die Arme nach der hohen Gestalt
im grauen Kittel ausstreckte. Für einen winzigen Augenblick versteifte sich Thomas Becket, als sei die stürmische Begrüßung ihm unangenehm, dann ließ er es zu, von Henri fast erdrückt zu werden.
    »Es ist schön, dich endlich wiederzusehen, Tom«, rief der König mit echter Freude. »Und zu wissen, dass du endlich Vernunft angenommen hast. Kein anderer Mann ist besser geeignet, mein Erzbischof zu sein.«
    Marie staunte, dass Aliénors Gesicht plötzlich wie versteinert war. Die Königin blickte beinahe so missmutig drein, wie Emma es gewöhnlich tat. War es möglich, dass die unvergleichliche Schönheit nicht frei von Eifersucht war?
    Thomas Becket hatte sich sanft aus der Umarmung befreit. Kurz senkte er den Blick, dann sprach er ruhig und fest: »Ein Erzbischof steht in den Diensten Gottes, nicht eines Königs.«
    An Maries Seite seufzte Torqueri leise. Der König schwieg einen Augenblick, dann hallte sein lautes, schallendes Gelächter über alle Köpfe hinweg.
    »Gut pariert, Tom. Alle Achtung! Jetzt führe uns zu einer Kapelle, damit wir deinem Herrn danken können, endlich diese Überfahrt hinter uns gebracht zu haben. Dann freue ich mich schon auf ein kräftiges Mahl.«
    Marie folgte der Herde des Hofstaats, wie sie es nun schon seit Wochen tat. Ihr Dankesgebet, endlich in England angekommen zu sein, kam aus tiefstem Herzen, denn die Burg in Cherbourg war nicht besonders geräumig gewesen. Der Rauch von offenen Feuerstellen und Kohlenbecken hatte das Atmen zur Qual gemacht, doch wenn die Öffnungen an den Decken aufgeklappt worden waren, um ihn abziehen zu lassen, war es sogleich unerträglich kalt geworden. Marie fragte sich, wann es ihr jemals wieder möglich sein würde, Cleopatra frei durch einen Raum fliegen zu lassen. Sie entdeckte
Ähnlichkeiten in ihrer beider Leben. Selbst die bescheideneren der Burgen, in denen der Hofstaat haltmachte, waren weitaus komfortabler als die Ruine bei Huguet, doch gleichzeitig gab es keine Möglichkeit mehr, einfach den eigenen Wünschen zu folgen.
     
    Zwei Monate später ließen Sonnenstrahlen den Schnee matschig werden, und Marie erlebte bei Windsor ihre erste Jagd, auf die alle Damen ungeduldig gewartet hatten. Die Hofgesellschaft hatte sich in schlichtere Gewänder gehüllt als bei den abendlichen Gelagen, doch Marie erblickte mit silbrig weißem Fell besetzte Kragen und feine, wollene Umgänge in leuchtenden Farben. Ritter und Damen ließen offenbar keine Gelegenheit aus, sich für öffentliche Auftritte herauszuputzen. Die Falken und Habichte auf den Armen ihrer Herren schienen ihr finster und Furcht einflößend wie die Dämonenfratzen an den Fassaden von Kathedralen. Sie ertappte sich bei dem Gedanken, was derartige Raubvögel wohl aus Cleopatra machen würden. Hunde rannten an den Beinen der Pferde vorbei, bellten, fletschten manchmal spitze, gierige Zähne. Marie wurde unwohl. Sie war seit ihrer Ankunft in Chinon nicht mehr im Sattel gesessen und meinte bereits, das bekannte Ziehen in ihren Oberschenkeln zu spüren. Mathilde und einige andere Damen ließen ihre Pferde tänzeln und warfen immer wieder verstohlene Blicke auf die versammelten Ritter, um anschließend aufgeregt zu tuscheln. Emma trug einen seidenen Bliaut unter ihrem Umhang, der für den Anlass fast zu edel wirkte, doch brachte dessen goldbrauner Farbton den Glanz ihres kupferroten Haars besonders gut zur Geltung, das sie vorher mit einer

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