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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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Königin sich gern mit zwei elegant gewandeten Frauen in einer Sprache, die Marie nicht verstand. Es musste sich um Okzitanisch handeln, das in Aliénors aquitanischer Heimat gesprochen wurde. Die anderen Damen beachtete sie kaum.
     
    So zogen die Tage dahin. Gelegentlich lösten Würfelspiele das gemeinsame Sticken ab. Lieder wurden gesungen, was Marie gefiel, doch wusste sie, dass ihre Stimme nicht besonders lieblich klang und es ihr oft nicht gelingen wollte, den richtigen Ton zu halten. Sie konnte jene Geschichten, die sie sich ausdachte, nicht singend vortragen, nur erzählen. Manchmal überkam sie der Drang, den Damen dies vorzuschlagen, doch wenn sie ihren Wunsch in Worte fassen wollte, lähmte plötzlich kalte Furcht ihre Zunge. Sie war Zeugin geworden, wie der singende Jüngling öffentlich gedemütigt worden war. Der königliche Hof schien ein erbarmungsloses, höhnisches Publikum.
    Das abendliche Mahl im großen Saal war der Höhepunkt eines jeden Tages, auf den die Frauen ungeduldig warteten. Sie wandten jedes Mal große Mühe auf, sich herzurichten. Marie staunte über die Pracht der seidenen Bliauts, die in hellen Farben strahlten. Doch immer wieder stellte die Königin ihre Damen in den Schatten. Ihre Kleidung war enger geschnitten, betonte die schlanken Formen ihres Körpers. Geschlitzte, weich fallende Ärmel flossen an ihr hinab, schwangen anmutig bei jedem ihrer Schritte, wenn sie hoch erhobenen Hauptes zu ihrem Platz am Kopf der Tafel schritt. Das Leuchten in Henris Augen verlosch niemals bei ihrem Anblick. Marie fragte sich, ob es ihr selbst jemals gelingen
könnte, solche Begeisterung in einem Mann zu wecken. Sie hielt das für unwahrscheinlich.
    Eine Jagd fand nicht statt, obwohl einige der Damen ungeduldig darauf hofften. Immer wieder wanderten Blicke zu den Fensteröffnungen, die hier nicht mit Leder, sondern mit feinem Pergament abgedeckt wurden, sodass mehr Licht hereindrang. Zunächst prasselte der Regen dagegen, dann zeichneten sich die Schatten weicher, sanft fallender Flocken ab. In der Nähe der Fenster roch es nach Schnee.
    »Vermutlich werden wir bis zum Frühjahr in Chinon bleiben«, erklärte die Königin ihren Damen bei der gemeinsamen Stickrunde, und diese Aussage wurde ohne weitere Aufregung hingenommen.
    »Chinon ist eine angenehme Burg«, meinte Torqueri an Marie gewandt. »Es gibt genug Räume und Schlafplätze für alle. Das ist nicht überall so.«
    Doch an einem kalten, finsteren Morgen riss ein Diener die Damen zu ungewohnt früher Stunde aus dem Schlaf.
    »Wir brechen auf!«, verkündete er. »Der König wünscht nach England zu fahren.«
     
    Ebenso wie ihre Gefährtinnen kleidete Marie sich mit großer Eile an, rollte die Habseligkeiten aus ihrer Truhe in ein Bündel, das bald schon eine der emsigen Bediensteten an sich nahm, um es hinauszutragen. Sie wickelte ein Tuch um Cleopatras Käfig, damit der Vogel im Freien nicht fror und noch eine Weile schlafen konnte, was auch ihr sehnlichster Wunsch gewesen wäre. Dann lief sie den anderen Frauen hinterher, so wie sie es bereits seit vielen Tagen getan hatte. Diesmal ging es hinaus in jenen Hof, wo sie etwa zwei Wochen zuvor angekommen war. Dort schien der bisher geordnete Hofstaat im Begriff, sich in ein heilloses Durcheinander zu verwandeln. Bedienstete huschten herum, schleppten
Kisten, Fässer und Bündel wie Ameisen. Es war schwer, sich einen Weg zu bahnen, denn überall standen Karren, Pferde, Ochsen und Esel. Menschen, die eine Transportmöglichkeit zu ergattern suchten, sprangen auf, doch wurden sie in dem Gedränge manchmal wieder heruntergerissen. Ein Stück neben Marie entwickelte sich eine Schlägerei zwischen zwei Knechten, die gemeinsam nicht mehr auf ein übervolles Gefährt gepasst hätten. Die Damen warteten geduldig wie Statuen, und Marie folgte ihrem Beispiel. Schließlich winkte ein Dienstbote ihnen zu, und sie wurden in zwei bunt bemalten Gefährten mit rundem, ledernem Dach verstaut, wo einfachen Leuten der Zutritt wohl verwehrt war, denn niemand hinderte sie daran einzusteigen. Doch nachdem sie endlich Platz genommen hatten, saßen sie noch sehr lange, während um sie herum das Brüllen und Schubsen weiterging. Marie legte ihre Arme um Cleopatras Käfig und schloss die Augen. Ihr Leben schien nicht mehr ihr selbst zu gehören, denn sie war Teil einer Menge geworden, die unverständlichen Regeln gehorchte.
    Aliénor erschien im Hof und brauchte sich keinen Weg zu bahnen, denn man wich ihr

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