Die Dichterin von Aquitanien
ehrfurchtsvoll aus. Die Amme mit den Kindern eilte hinterher, lud ihre Zöglinge in ein weiteres überdachtes Gefährt, während die Königin hinter den prächtigen, schweren Vorhängen einer Sänfte verschwand, die von vier Reitern getragen werden sollte. Der König füllte den Hof ebenfalls mit seiner eindrucksvollen Gegenwart, schwang sich in den Sattel eines Pferdes, doch selbst sein Auftauchen vermochte keine Ordnung in all das Getümmel zu bringen, ganz gleich, wie laut er auch bellen mochte. Marie meinte in dem allgemeinen Geschrei, ihr Gehör zu verlieren, und richtete ihren Blick auf die ganz entspannt wirkende Torqueri de Bouillon.
»Es dauert immer ein wenig. Die Gewänder und Möbel der
Königin müssen noch aufgeladen werden, und das braucht Zeit. Aber vor Mittag brechen wir sicher auf«, erklärte die ältere Frau gelassen. Marie seufzte. Sie hatte immer gewusst, dass es in dieser Welt eine feste, gottgewollte Rangordnung gab, doch hatte sie deren Folgen niemals so deutlich zu spüren bekommen. Die Laune zweier Menschen, Henris und Aliénors, genügte, um zahllose andere rennen, rempeln, raufen oder auch nur tatenlos warten zu lassen. Während sie weiter diesen Gedanken nachhing, erhellte sich die finstere Morgendämmerung, und Sonnenstrahlen verliehen der eisigen Winterluft ein wenig Wärme. Obwohl das Geschrei nicht abschwoll, holperte das Gefährt unter Marie allmählich los und trug sie durch ein großes Tor aus Chinon hinaus.
Eine Kolonne zog durch die winterliche Landschaft. Wenn Marie aus dem Wagen hinausspähte, erblickte sie nur Rücken von Reitern und rollende Karren, die bis zum Ende des Horizonts reichten. Um sie herum saßen Ritter auf Rössern, redeten miteinander und warfen immer wieder neugierige Blicke auf die königlichen Damen in den Wagen. Die halbwüchsige Mathilde schaute aufgeregt zurück, lief rot an und flüsterte Emma ins Ohr. Maries junge Tante hatte eine unbewegte Miene aufgesetzt, doch gelegentlich richteten auch ihre Augen sich für einen Augenblick scheinbar zufällig auf die Reiter an ihrer Seite. Ein zufriedenes Lächeln huschte über ihre Lippen, denn unter den Frauen in diesem Karren war sie diejenige, der die meiste Aufmerksamkeit geschenkt wurde.
Als die Sonne bereits hoch am Himmel stand, durchquerte die Kolonne eine Ansiedlung, wo staunende, stumme Dorfbewohner ihren Weg säumten. Marie nahm deren schmutzige, farblose Kleidung zur Kenntnis, erinnerte sich aber im selben Moment, dass sie selbst die meiste Zeit ihres Lebens in solchen Lumpen herumgelaufen war. Innerhalb
weniger Wochen musste ihre Wahrnehmung sich verändert haben, denn was sie einst für selbstverständlich gehalten hatte, schien ihr nun schäbig.
Hinter ihr ertönte Geschrei. Sie beugte sich aus dem Wagen und sah eine der zerlumpten Dorfbewohnerinnen ihr gellend kreischendes Kind an sich drücken.
»Was ist geschehen?«, rief sie den Rittern an ihrer Seite zu.
»Ein Bauernbalg ist einem Pferd zu nah gekommen«, erwiderte ein bärtiger Reiter. »Es hat einen Tritt abbekommen. Dieses Gesindel sollte besser auf seinen Nachwuchs aufpassen«
»Hat das Pferd nach dem Kind getreten?«, bohrte Marie nach. Der Ritter stieß nur ein Grunzen aus, und Torqueri legte ihre Hand auf Maries Arm.
»Ich fürchte, es war der Reiter, der sich belästigt fühlte. Unsere Ritter sind den Kampf gewohnt und manchmal etwas grob. Aber die Bauern sollten ihre Kinder tatsächlich von ihnen fernhalten, wenn sie nicht wollen, dass ihnen ein Leid geschieht.«
Marie senkte den Kopf. Sie wollte vorschlagen, nach dem Kind zu sehen, denn so wie es schrie, musste es verletzt sein, doch eine innere Stimme riet ihr zu schweigen. Die Kolonne hätte niemals wegen eines Bauernkindes angehalten.
»Nun, Demoiselle Marie, wie bekommt Euch das Leben bei Hofe?«, vernahm Marie eine vertraute, spöttische Stimme an ihrer Seite. Erfreut blickte sie in das glatte Gesicht Guy de Osteillis. Er musste herangeritten sein, ebenso wie ein paar andere Ritter, die mit Emma zu plaudern begannen. Nur Guy schenkte Marie Beachtung, aber er genügte ihr, denn in seiner Gegenwart fühlte sie sich weniger allein.
»Im Augenblick werde ich ziemlich durchgeschüttelt«, gab sie unumwunden zu. »Höfisches Leben stellte ich mir anders vor.«
Er lächelte und beugte sich zu ihr hinab.
»Daran solltet Ihr Euch so bald wie möglich gewöhnen. Denn ich muss Euch ein Geheimnis verraten. Gott schuf die aus der Bibel hinlänglich bekannte Wanderheuschrecke.
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