Die Dichterin von Aquitanien
Und dann noch unseren König Henri. Das sind die zwei reiselustigsten Kreaturen seiner Schöpfung«, flüsterte er Marie ins Ohr. Sie kicherte fröhlich. Seit ihrer Ankunft in Chinon hatte sie mit niemandem so ausgelassen plaudern können.
Bohrende Blicke holten sie in die Wirklichkeit zurück. Torqueri schien einfach überrascht, Mathilde gaffte neugierig, und Emmas Gesicht war wieder einmal zu einer Maske des Missmutes versteinert.
»Ihr scheint Euch während der gemeinsamen Reise nach Chinon gut angefreundet zu haben«, meinte sie bemüht gelassen, konnte aber einen giftigen Unterton nicht unterdrücken.
»Wie bereits der König sagte«, erwiderte Guy de Osteilli sogleich. »Manche Männer schätzen die Gegenwart kluger Frauen durchaus, vor allem, wenn diese auch noch freundlich und gutherzig sind.«
Marie staunte über das unerwartete Lob. Sie hatte nicht gewusst, dass der Ritter sie mochte, denn in Chinon war sie von ihm kaum beachtet worden.
»Freundlichkeit kann sich nur eine Dame erlauben, der es an Verehrern mangelt«, kam es nun von Emma. »Eine schöne Frau muss manchmal kühl und hart auftreten, um Männer in ihre Grenzen zu weisen.«
»Dann muss ich auch Euch ein Kompliment machen, verehrte Emma«, erwiderte Guy mit einem bösen Lächeln. »Die Kunst der Unfreundlichkeit beherrscht Ihr meisterhaft.«
Er verabschiedete sich mit einem Nicken und lenkte sein Pferd an den Rand der Kolonne. Marie war enttäuscht, doch es überraschte sie, welch tiefes Unglück sich für einen winzigen
Moment auf dem schönen Gesicht ihrer jungen Tante abzeichnete. Die Aufmerksamkeit der anderen Ritter schien ihr gleichgültig geworden zu sein, sie antwortete nur noch knapp auf deren Fragen und lächelte nicht mehr so kokett wie noch kurz zuvor. Bald darauf erwachte sie jedoch aus dieser Starre und verwandelte sich wieder in eine anziehende, aber unnahbare Dame. Keinen der Ritter behandelte sie so unfreundlich wie Guy. Doch gleichzeitig schien keiner von ihnen ihr derart wichtig zu sein.
Die Karren rollten weiter. In kleinen Burgen oder größeren Anlagen wurde haltgemacht, und das Gesinde stritt sich wiederum, diesmal um Schlafplätze, während die Damen der Königin rasch in ihren Schlafsaal geführt wurden. Meist fand kein aufwendiges Abendmahl mehr statt, sondern Dienstboten trugen etwas Brot, Fleisch und Wein herein, damit keine der edlen Frauen sich hungrig niederlegen musste. Auch unter den Damen kam es manchmal zu Zank, denn die Betten waren weniger zahlreich und keineswegs so sauber und weich wie in Chinon. Mitunter mussten sie geteilt werden, und Marie war froh, in diesem Fall stets an Torqueris Seite schlafen zu können. Während des täglichen Dahinrollens verdrängten schwere, dunkle Wolken allmählich das Sonnenlicht. Eisige Luft blies in ihren beweglichen, holpernden Unterschlupf, sodass die Holztüren geschlossen und mit Wolldecken abgedichtet wurden. Marie fragte sich, wie die Reiter dieses quälende Wetter ertrugen. Gleichzeitig vermisste sie den Blick ins Freie, der das rastlose Leben ein wenig reizvoll gemacht hatte. Sie fühlte sich wie lebendig begraben mit Torqueri, deren Gegenwart durchaus angenehm war, aber auch mit Emma und Mathilde. Dann tauchte plötzlich in der Abenddämmerung eine riesige, graue Fläche am Horizont auf. Sie erinnerte Marie an den Teich bei Huguet, doch schien die Wasserfläche so
grenzenlos, dass sie meinte, am Ende der Welt angekommen zu sein. Zu ihrer Erleichterung erblickte sie auch die Umrisse einer menschlichen Siedlung.
»Das ist Barfleur«, erklärte Torqueri. »Hier werden morgen die Schiffe auf uns warten, um uns übers Wasser nach England zu tragen. Leider müssen wir noch die Nacht in diesem kleinen Ort verbringen, wo es wieder einmal eng werden wird.«
Am nächsten Morgen peitschte Wind das Wasser auf, ließ es wilde Wellen schlagen, auf denen die Schiffe hilflos schwankten. Marie fürchtete sich vor einer Reise über derart feindliches, unstetes Gefilde. Als die Nachricht eintraf, dass der König die Überfahrt verschieben wollte, atmete sie erleichtert auf, obwohl sie nun wieder durch eisiges Schneegestöber fuhren. In Cherbourg, so hieß es, würde das Weihnachtsfest verbracht werden. Erst wenn das Wetter es zuließ, sollte die Reise übers Wasser beginnen.
6. Kapitel
W illkommen in England, mein König.« Marie war froh, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren, und richtete ihre Augen verwirrt auf den Mann, der unter allen Versammelten
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