Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
Vom Netzwerk:
ihm hinterherlief. Sie war sich nicht sicher, ob sie es bei diesem rasenden Tempo unter Kontrolle halten konnte. Die Falken schossen wie Pfeile in die Luft, kreisten bald schon unter den Wolken, um sich auf kleineres Getier zu stürzen. Marie verdrängte Cleopatra aus ihrem Bewusstsein. Es war notwendig, Tiere zu töten, um Fleisch essen zu können. Das hatte sie bereits in Huguet gelernt. Doch der Stolz, mit dem die Teilnehmer der Jagdgesellschaft die Mordlust ihrer Falken und Hunde betrachteten, war ihr fremd.
    Emmas Pferd galoppierte ein paar Hunden hinterher, und Maries Stute folgte brav. Das allgemeine Hufgetrappel wurde leiser, als hätten sie sich von den anderen Reitern entfernt, doch die Tante ließ den Falben ungehindert rasen. Marie fühlte sich zu wenig Herrin der Lage, um zu beurteilen ob dies besonders klug war. Sie überließ diese Entscheidung ihrem Zelter, der offenbar Vertrauen in Emmas Pferd hatte, und krallte ihre Finger in seine Mähne.
    Dann stieß der Falbe plötzlich ein wildes Wiehern aus und bäumte sich auf. Maries Herzschlag setzte aus, während sie
an den Zügeln ihrer Stute riss, um sie zum Stehen zu bringen, was ihr erstaunlich gut gelang. Emma versuchte verzweifelt, sich im Sattel zu halten, während die Vorderbeine ihres Falben immer wieder in die Höhe schossen. Unterhalb des wild gewordenen Pferdes regte sich etwas. Marie vernahm ein Wimmern und erblickte einen kleinen Jungen, der sich verzweifelt auf dem Boden rollte, um weiteren Huftritten zu entkommen. Entsetzt sprang sie aus dem Sattel, packte die Beine des Kindes und zerrte, bis es außerhalb der Reichweite von Emmas tobendem Falben lag. Blut sickerte aus dem Mund des Jungen, durchtränkte seinen Kittel und tropfte auf den aufgeweichten, schlammigen Waldboden. Marie wischte es von seinem Kinn.
    »Wie heißt du?«, fragte sie und versuchte, so ruhig wie möglich zu klingen, während der Herzschlag ihr laut in den Ohren hämmerte. Emma, die vom Pferd gefallen war, näherte sich ihr von hinten. Offenbar war sie unverletzt. In ihren grünen Augen funkelte nichts weiter als Zorn, während sie fluchend versuchte, den Schlamm von ihrem Umhang zu wischen.
    »Du Schwachkopf!«, schrie sie den Jungen an. »Warum musstest du mein Pferd scheu machen?«
    Fassungslos beobachtete Marie, wie Emma mit ihrem spitzen Schuh gegen den kleinen Körper trat.
    »Die Hunde hatten eine Fährte. Ich hätte als Erste die Beute entdecken können, aber dann muss so ein dämlicher Bauerntrampel wie du dazwischenkommen«, fauchte Emma und trat erneut zu. Marie packte Emma an der Schulter und schüttelte sie. »Hör auf! Siehst du nicht, dass dieser Junge verletzt ist?«
    Emma schnaubte und holte zu einem weiteren Hieb aus.
    »Das ist seine eigene Schuld. Was hat er während der Jagd im Wald zu suchen?«

    Marie packte fester zu und versuchte, ihre Tante von dem Jungen wegzuzerren. Zwar war Emma größer, doch schien weniger Kraft in ihren Muskeln zu stecken, denn sie vermochte Maries Griff nicht abzuschütteln, obwohl sie schnaubte, zappelte und kratzte. Während sie miteinander rangen, drang plötzlich ein bedrohliches Grunzen aus dem Wald.
    »Madam!«, rief der Junge heiser. »Madam, wir müssen weg.«
    Der finstere, unheilvolle Klang schwoll an. Marie erstarrte und ließ von Emma ab, die ebenfalls aufgehört hatte, sich zu wehren. Schon stoben ihre beiden Pferde davon. Dann schob der Kopf eines Keilers sich zwischen Bäumen hervor. Kalter Schweiß überzog Maries Körper, als sie zwei wuchtige Stoßzähne erblickte, so nahe, dass sie nur zwei Schritte hätte tun müssen, um sie berühren zu können. Doch ebenso wie Emma verharrte sie vollkommen still. Guillaume hatte einst geraten, auf einen Baum zu klettern, wenn sie im Wald Wildschweine aufschreckte, doch dazu war das Tier bereits zu dicht an sie herangekommen. Sie fürchtete, es mit jeder hastigen Bewegung noch wütender zu machen.
    »Ich sah die Wildschweine und lief weg«, stieß der Junge jetzt hervor, als fühle er sich zu einer Erklärung verpflichtet. »Es wäre nichts passiert, aber dann kamen die Hunde und Pferde und …«
    Der Keiler grunzte lauter, schien angriffslustig. Der Junge verstummte und starrte mit weit aufgerissenen Augen in Maries Gesicht, als flehe er sie um Hilfe an. Er lag dem Wildschwein zu Füßen, doch war der drohende Blick des Tieres nicht auf ihn gerichtet sondern auf die zwei aufrechten Gestalten hinter ihm. Marie überlegte, ob sie vielleicht langsam in die Hocke gehen

Weitere Kostenlose Bücher