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Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben

Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben

Titel: Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Peetz
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geschlagen. Stattdessen drückte sie den Anruf weg und zog die Landkarte
hervor, die sie heute Nachmittag besorgt hatte. Man brauchte fast schon eine
Lupe, um Birkow zu finden. Das Dorf lag am Rande des Müritz-Nationalparks an
der Mecklenburger Kleinseenplatte, unweit der Landesgrenze zu Brandenburg. Der
Ort versprach Weite, Landschaft und Natur. Niemand würde sie dort aufspüren.
Hoffte sie.

6
    »Was ist das? Schon wieder
Muttertag?«, fragte Eva.
    Dabei wusste sie sehr
gut, dass heute Freitag war. Der Dreizehnte noch dazu. Ihr Abreisetag. Was
konnte Schlechtes an einem Tag passieren, der mit einer Fünfsternebehandlung
begann? David war extrafrüh aufgestanden und hatte beim Bäcker frische Brötchen
besorgt, Frido jr. presste frischen Orangensaft und balancierte ihn zusammen
mit einem opulenten Gourmet-Frühstück in Evas Schlafzimmer. Auf der Bettkante
präsentierte Anna ihrer Mutter stolz die ersten Anfänge ihrer Strickarbeit:
»Das wird ein Schal. Für dich«, versprach sie.
    Nur Lene verweigerte
jegliche Büßergeste. Ihr Freund hatte mit ihr Schluss gemacht und fuhr
stattdessen mit der schrecklichen Marlene aus der Parallelklasse in die
holländische Hauptstadt. Grund genug für Lene, bis auf Weiteres nie wieder ein
Wort mit ihrer Mutter zu wechseln. Schließlich hatte Eva ihr die Reise verboten
und somit die Liebe ihres Lebens auf dem Gewissen. Eva beschloss, dass auch
nach einem Croissant und einem Schluck Kaffee genug Zeit war, sich dem
Weltschmerz ihrer Ältesten zu widmen. Schließlich blieb die Schule wegen der
Untersuchung des Unglücks heute geschlossen.
    Genüsslich schlug sie
die Morgenzeitung auf. Im Lokalteil begegnete sie sich selbst. » Glück im Unglück hatte am Donnerstagnachmittag Eva K. (46), als
sich bei Renovierungsarbeiten im Erzbischöflichen Gymnasium eine Deckenplatte
löste. « Die Seiten zitterten in ihren Händen, die Buchstaben tanzten auf
und ab, das Adrenalin jagte durch ihren Köper. Der Schock kam mit
zwölfstündiger Verspätung. Das körnige Schwarz-Weiß-Foto des zermalmten Stuhls
bildete drastisch ab, was ihr erspart geblieben war. Ein paar Zentimeter, ein
paar Sekunden, und das Leben wäre vorbei gewesen. Die Erkenntnis, dass sie dem
Tod von der Schippe gesprungen war, fegte wie eine verspätete Druckwelle über
sie hinweg.
    »Alles in Ordnung?«,
fragte Frido, der mit einem großen Blumenstrauß das Zimmer betrat. Das
geschmacklose Gebinde stammte von Herrn Krüger und sah aus, als wäre es vom
Friedhof geklaut.
    Eva antwortete nicht.
Bilder ihrer Beerdigung drängten sich auf. Die vier Kinder zwischen Erstarrung
und Tränenmeer, Frido gebrochen, ihre Mutter am Rande des Nervenzusammenbruchs.
Im Geiste hörte sie die salbungsvollen Floskeln von Pfarrer Rennert, der mit
seinem dünnen Haar, das ihm matt auf die Schulter fiel, den hängenden Wangen
und tränenden Augen die Idealbesetzung für Trauerfälle war. Aus seinem Mund
quollen die üblichen Versatzstücke: »Mitten aus dem prallen Leben gerissen… so
viele Pläne… das Leben hätte ihr noch so viel zu bieten gehabt.« Am Ende würde
sein Hohelied ewiger Liebe in einem bedeutungsschwangeren »Sie wird auf ewig in
den Herzen unserer Gemeindemitglieder fortleben« gipfeln. Das sagte er am Ende
jeder Beerdigung. Eva wollte nicht in irgendeinem Herzen weiterleben. Sie
wollte in ihrem Haus bleiben. Bei ihrem Mann und den vier Kindern. Kalter Schweiß
drang ihr aus allen Poren, ihr Herz raste unkontrolliert, das Schlafzimmer
drehte sich um sie, als säße sie im Schleudergang der Waschmaschine.
    »Sollen wir einen Arzt
kommen lassen?«, klang dumpf Fridos Stimme an ihr Ohr.
    »Ich muss packen«,
stammelte Eva. »Caroline kommt gleich.«
    »Du willst doch nicht
wirklich fahren«, hielt Frido ihr entgegen.
    Eva schlug energisch
die Bettdecke zurück. Nach einem Autounfall sollte man sich so schnell wie
möglich wieder ans Steuer setzen und zur Tagesordnung übergehen. Für
Beinaheunfälle dürfte Ähnliches gelten.
    »Ich will das gar nicht
so genau wissen«, sagte Eva, zerknüllte die Zeitung und griff zum
Terminkalender. Noch zwei Stunden bis zur Abfahrt. Was musste sie noch
erledigen?
    Fassungslos las Eva die
To-do-Liste des gestrigen Tages. Bügelwäsche, stand da. Mit vier
Ausrufezeichen. Oberen Stock saugen, Zahnarzttermin für Lene. Viermal
Hausschlüssel nachmachen. Und wieder Ausrufezeichen.
    Von wegen »pralles
Leben«, von wegen »das Leben hätte ihr noch so viel zu bieten gehabt«. Um ein
Haar hätte sie

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