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Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben

Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben

Titel: Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Peetz
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Fahrmanöver wider. Bei jeder
passenden und unpassenden Gelegenheit zuckte Judith zusammen und bremste
fröhlich mit. Am Autobahnkreuz Dortmund   /   Wuppertal war Caroline ob der vielen Achtungs,
Vorsichts, Huchs und Pass-aufs am Ende ihrer Nerven. Caroline fragte sich, wie
sie das die restlichen 622 Kilometer bis Birkow durchstehen sollte: sieben
Stunden Fahrzeit insgesamt.
    »Wir haben früher für
nervöse Tramper immer Meskalin, LSD und Cannabis
dabeigehabt«, schlug Estelle vor. Sie hatte es sich mit Eva im Fond des Wagens
gemütlich gemacht. Zwischen ihnen, ordnungsgemäß angeschnallt, Oskar, der jedes
Mal solidarisch mit Judith mitjaulte, wenn es etwas zu jaulen gab.
    »Früher?«, amüsierte
sich Eva.
    »In den Siebzigern«,
fügte Estelle hinzu.
    »Da warst du noch nicht
mal geboren«, meinte Caroline.
    »Danke, Caroline«,
sagte Estelle. »Du bist eine echte Freundin.«
    Wer weiß, vielleicht
hätten sie noch mehr Komplimente ausgetauscht, hätte Judith nicht unvermittelt
aufgeschrien. Dabei hatte der Lkw zu ihrer Rechten nur einen klitzekleinen
Schlenker gemacht.
    Caroline war dem
Herzinfarkt nahe: »Ich glaube dauernd, ich hab was übersehen«, ächzte sie.
    Eva reagierte mit mehr
Verständnis: »Was ist los, Judith?«, fragte sie besorgt. »Du bist doch sonst
nicht so hysterisch.«
    »Ich hatte heute Nacht
einen merkwürdigen Traum«, gab Judith verhalten zu. Sie ahnte wohl, dass diese
Mitteilung bei ihren Freundinnen auf wenig Interesse stoßen würde.
    »Judith ist wieder als
nebenberufliche Unkenruferin unterwegs«, stöhnte Caroline. Seit Judith ihre
Intuition zur höchsten Instanz erklärt hatte, litt sie gerne unter kosmischen
Eingebungen. Caroline war jemand, der plante und berechenbare Zustände liebte.
Viele Jahre lang hatte der Blick in den Terminkalender genügt, um zu wissen,
wie ihre Zukunft aussah. Seit dem Scheitern ihrer Ehe war ihr diese Sicherheit
abhandengekommen.
    »Wenn du fahren willst,
gerne«, bot Caroline an.
    »Ich dachte, der Lkw
schert aus. Ehrlich«, verteidigte Judith sich.
    Es war erstaunlich,
dass Judith trotz Atemtherapie, Meditation, Yoga, Trommelkursus, Töpfern und
Körpererfahrung durch Steinmeißeln noch immer nicht tiefenentspannt war. Im
Gegenteil. Das Stressgen feierte munter Party.
    »Ich vertraue dir
vollkommen«, beeilte sich Judith zu versichern. »Dir schon. Nur allen anderen
nicht.«
    »Du musst mit der
rechten Hand den Zeigefinger umklammern«, empfahl Eva von der Hinterbank. »Das
kommt aus dem Japanischen. Der Zeigefinger steht für Angst. Durch das Halten
des Fingers werden negative Gefühle harmonisiert.«
    »Seit wann kennst du
dich mit so was aus?«, erkundigte sich Caroline.
    »Das tut die Hauptfigur
in einem von Fridos Schockerfilmen.«
    »Und hilft es?«, fragte
Estelle.
    »Eher nicht«, gab Eva
zu. »Die Frau wird nach zehn Minuten ermordet.«
    »Sie hätte statt des
Fingers besser die Beine in die Hand genommen«, konstatierte Estelle nüchtern.
    Wenigstens lenkte das
Gespräch Judith vom Verkehrsgeschehen ab. Der Weg führte über Münster durch das
Oldenburger Land und schließlich vorbei an Hamburg. Auf der Autobahn Richtung
Schwerin wurde es schlagartig ruhiger auf der Straße. Mit jedem Kilometer gen
Osten leerten sich die Fahrspuren zunehmend, und Judith vergaß endlich, dass
sie schreckliche Angst hatte.
    Caroline hörte den
Gesprächen der Freundinnen nicht mehr richtig zu. Obwohl es kaum vier Uhr war,
musste sie die Scheinwerfer anstellen. Die Orientierung wurde schwieriger. Im
Autoradio liefen ständig Berichte über Sturmtief Lukas, das die Ostseeregion
bedrohte. Die Eisheiligen versprachen, ihrem Namen alle Ehre zu machen. Für die
Nacht wurden für Mecklenburg-Vorpommern orkanartige Sturmböen mit Spitzengeschwindigkeiten
bis zu 120   Stundenkilometern
und Temperaturen um die sechs Grad vorhergesagt.
    Bei Rheinsberg bekamen
sie die ersten Ausläufer des Unwetters zu spüren. Längst hatten die
Dienstagsfrauen die Autobahn verlassen und waren auf kleinen Landstraßen
unterwegs. Der Wind wirbelte Erde von den Feldern auf und fegte sie über die
Fahrspuren. Sand verschleierte den Blick auf Wälder und die zahlreichen Seen,
die die Landschaft prägten. Caroline hatte auf eine pittoreske Strecke gehofft,
auf blühende Rapsfelder, frisches Grün und sanft gewelltes Hügelland. Jetzt
musste sie sich ganz und gar auf die Straße konzentrieren. Sie hatten noch
dreißig Kilometer vor sich. Die Staubmassen verhüllten winzige Dörfer,

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