Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft
immer beeinträchtigt ist. Aber mit Sicherheit ist es keine gute Vorbereitung auf ein selbstbestimmtes, eigenständiges, mutiges und informiertes Leben.
Das soll keineswegs heißen, dass man den lieben Kleinen unter dem Weihnachtsbaum eine Best-of-Schmuddel-Sammlung oder die neuesten Blutspritz-Spiele präsentiert. Aber sobald Kinder so weit sind, dass sie mit Derartigem in Kontakt kommen können, wird es Zeit, darüber zu sprechen. Darüber, dass Gewalt in Spielen keine Folgen hat, Gewalt im realen Leben aber sehr wohl und die Konsequenzen kein Spiel sind. Darüber, dass Sexualität etwas sehr Schönes und Natürliches ist, dass aber die Darstellung in Pornofilmen mit der Realität nicht so viel zu tun hat, sondern gestellt, mechanisch und künstlich ist Sie wenden sich vor allem an Männer. Die Schauspieler sind geschminkt (auch Porno-Darsteller haben manchmal Pickel am Po) und spielen Rollen, die man für die eigene Sexualität nicht übernehmen muss, auch wenn man das eine oder andere daraus lernen kann. Aber nicht, dass jeder alles ausprobieren muss und dass Männer und Frauen jederzeit wollen und können.
Wer diese Inhalte nicht von vorneherein wie etwas Verbotenes behandelt, das dadurch ja erst richtig interessant wird, und dem Nachwuchs dabei hilft, die Dinge richtig einzuordnen, der wird seinen Kindern auf Dauer einen größeren Dienst erweisen als derjenige, der handelt wie die saudi-arabischen Zensoren, wenn sie die Seiten mit allzu freizügiger Werbung aus dem ›Spiegel‹ herausreißen.
Innere Sicherheit
Die Digitalisierung stellt auch die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden vor neue Hürden – und verschafft ihnen neue Möglichkeiten. In den USA heißt der Bereich der inneren Sicherheitspolitik, also der Abwehr von Bedrohungen aus dem Innern, »Heimatschutz« (Homeland Security).
Sie sind verdächtig. Ach, das wussten Sie noch nicht? Doch, doch: Sie sind ein potenzieller Terrorist, ein organisierter Krimineller, ein Sexualstraftäter. Denn: Jeder ist erst einmal verdächtig.Mit dieser Unterstellung führte die große Koalition aus SPD und CDU/CSU im Jahr 2006 die sogenannte Vorratsdatenspeicherung ein, die im Zuge der Antiterrorismusmaßnahmen nach den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 über den Umweg Europa auf den Weg gebracht wurde. Vorratsdatenspeicherung heißt: Es soll von den Mobilfunkanbietern monatelang gespeichert werden, wer wann mit wem kommuniziert hat, also telefoniert, eine SMS oder eine E-Mail geschickt hat, wer auf E-Mail -Postfächer zugegriffen hat und wer das Internet wann benutzt hat, dazu über die Funkzelle auch noch Angaben zum Aufenthaltsort. Es betraf die Daten der gesamten Bevölkerung. Auf das analoge Leben umgeschrieben, wird mit einer solchen Maßnahme monatelang gespeichert, wer wann mit wem und wie lange beim Kaffeekränzchen war.
Und weil man das technisch heute kann, haben sich die Sicherheitspolitiker gedacht, dass diese Totalüberwachungsmaßnahme doch ein unglaublich kluges Mittel zum Schutz vor Terrorismus sei. Die Sicherheitspolitiker versuchten, alle Proteste mit dem Pseudoargument abzuwehren, wer nichts zu verbergen habe, habe auch nichts zu befürchten. Wenn man das auf die analoge Welt umsetzt, bedeutet es, man kann doch wirklich nichts dagegen haben, dass sich ständig ein Fremder in der eigenen Wohnung verbirgt, einen beobachtet und einen zudem auch außerhalb der Wohnung auf Schritt und Tritt verfolgt. Und nur, wenn man etwas falsch gemacht hat, darf die Polizei ihn dazu befragen. Man hat ja nichts zu verbergen. Ein interessantes Argument in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft.
Damit nicht genug: Man sollte nicht nur kontrollieren können, wann und wo die Bürger sich bewegen, man sollte auch in Erfahrung bringen können, was sie im Netz und auf ihren Computern tun. Das ist dadurch möglich, dass der Staat sich heimlich Zugang zu ihren Rechnern verschafft. Die Diskussionen um den sogenannten Bundestrojaner laufen bereits mehrere Jahre. Als erstes Bundesland wollte das damals schwarz-gelb regierte Nordrhein-Westfalen seinen Ermittlungsbehörden die Erlaubnis verschaffen, durch die Hintertür und unbemerkt auf die Rechner potenzieller Krimineller, Terroristen und Banditen zuzugreifen.
Was könnte man auch schon dagegen haben? Durften staatlicheOrgane nicht früher schon überwachen, mit wem wir kommunizieren, wenn ausreichend Verdachtsmomente vorlagen? Indem sie Telefongespräche mitschnitten, Briefe
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