Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft
lesbar einige Schreiben der Bundesprüfstelle abdrucken, weshalb welcher Titel indiziert worden sei. Die Platte kam bis auf Platz 33 der Album-Charts – trotz oder vielleicht auch gerade aufgrund der Verkaufsbeschränkungen.
Die Gesetze zum Schutze der Jugend sind als solche zweifellos gut gemeint, aber sie müssen sich auch an ihrer Anwendbarkeit messen lassen. Verbote und Beschränkungen wecken Interesse, insbesondere dann, wenn die Schädlichkeit des Verbotenen in Zweifel gezogen werden kann. Dann wird oftmals das Gegenteil vom intendierten Zweck erreicht.
Verbote und Verbotsmechanismen sind auch Ausdruck der gesellschaftlichen Hilflosigkeit gegenüber einem Phänomen. In einer Zeit, in der sich Inhalte beliebig oft und ohne Qualitätsverlust per Mausklick vervielfältigen lassen, ist der Versuch einer Beschränkung des Zugangs zu Medien nur noch ein Feigenblatt, hinter dem man sich verstecken kann, um sich nicht Untätigkeit vorwerfen lassen zu müssen. Es klingt ja auch so schön einfach: Wenn etwas gesellschaftlich nicht akzeptabel oder wünschenswert ist, dann beschränken wir doch einfach den Zugang. Auch wenn es nicht funktioniert: Wir haben etwas für unsere Kinder getan. Was soll daran schon falsch sein?
In der Diskussion über die Zukunft des Jugendmedienschutzes wurde mehrfach der Ruf nach Internetsperren laut – also dem Sperren von Webseiten, die »entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte« anbieten. Und nicht alle, die da im Namen des Kinder- und Jugendschutzes unterwegs sind, haben hauptsächlich diesen im Sinn. Einer der aktiven Spieler im Geflecht des Onlinekinderschutzes, der fast alles, was technisch möglich ist, auch fordert, ist der »Interessenverband des Video- und Medienfachhandels«. Dessen Mitglieder sind die Videoverleiher. Ihre offizielle Argumentation ist einfach: Wir können kontrollieren, wer was zu sehen bekommt. In Wirklichkeit geht es aber um etwas anderes: Das Internet hat ihnen Konkurrenz beschert, auch jede Menge kostenlose Portale, und das schadet ihrem Geschäft. Nicht nurbei Pornovideos, auch bei Spielfilmen ist das Netz ein natürlicher Feind des stationären Verleihs digitaler Werke. Noch haben diese eine Schonfrist, denn vielerorts ist das Netz nicht schnell genug und die Online-Videoangebote sind nicht so richtig attraktiv. Aber das wird sich in den nächsten Jahren ändern. Warum sollten wir auch noch in einen Laden gehen, von dort eine DVD mitnehmen, auf der auch nur Daten sind, sie nach Hause bringen, anschauen und dann wieder zurückbringen, wenn wir doch die gleichen Inhalte bequem einfach vom Sofa aus abrufen können? Angesichtes dieser Aussichten kommt das Argument »Jugendschutz« nur recht: Hinter diesem Argument, dass nur der stationäre Handel die Alterskontrollen durchführen und Garant des Jugendschutzes sein kann, versteckt sich der Kampf um ein veraltendes Geschäftsmodell. Am liebsten wäre es diesem Verband wohl, wenn das Internet einfach abgeschaltet oder zumindest unbenutzbar gemacht würde.
Wir müssen einen Schritt zurückgehen und uns überlegen, was eigentlich der Sinn und Zweck von Jugendschutz und Jugendmedienschutz sind: Kinder und Jugendliche sollen vor schädlichen, »entwicklungsbeeinträchtigenden« Einflüssen bewahrt werden. Doch was ist ein solcher schädlicher Einfluss? Besteht er wirklich darin, dass auf dem Bildschirm Blut durch rote Bildpunkte imitiert wird? Und wird er verhindert, wenn das Blut grün ist? Menschen werden beim Sex gezeigt, vielleicht auch in ungewöhnlichen Spielarten? Ist das wirklich das eigentliche Problem? Oder geht es nicht vielmehr darum, viel früher anzusetzen und zu überlegen, wie wir die Kinder von klein auf an diese neuen Möglichkeiten oder auch Gefahren so heranführen, dass sie nicht unvorbereitet daraufstoßen und dann nicht damit zurechtkommen?
Die Lösung für das Problem kann nicht sein, dass man technisch versucht, solche Inhalte zu unterdrücken, sofern nicht per elektronischen Personalausweis die Volljährigkeit des Benutzers des Computers nachgewiesen ist. Stattdessen müssen Eltern und sonstige Bezugspersonen mit den Kindern und Jugendlichen ins Gespräch über das kommen, was in dieser Welt stattfindet. Kein Kind mit Internetzugang kann man heute noch so puritanisch erziehen, wie das vielleicht manchen vorschwebt. Die Zeiten sind vorbei – und daran ist nichts falsch. Denn das schlichte Ausblendenvorhandener Realitäten mag zunächst verhindern, dass die Entwicklung wie auch
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