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Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft

Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft

Titel: Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Falk;Beckedahl Lüke
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komplex dargestellt werden, so dass man sich als Normalbürger sagt: Wie soll ich das jemals verstehen, und warum sollte mich das irgendwie interessieren? So komplex ist es aber gar nicht, wenn man sich auf den Kern der Frage besinnt: Wer weiß was über uns, und was darf er mit diesen Informationen machen?
    Psychologische Experimente zeigen: Wenn wir annehmen, dass unser Gegenüber nichts oder nicht viel über uns weiß, dann verhalten wir uns anders, als wenn das Gegenteil der Fall ist. Wir genehmigen uns in einem Autohaus keine Probefahrt mit einem Spitzenmodell, wenn wir wissen, dass der Verkäufer weiß, dass wir uns das Auto gar nicht leisten können. Wir gehen nicht über eine rote Ampel, wenn wir genau wissen, dass dieses Verhalten irgendwo dokumentiert wird. Wir essen keine Currywurst mit Mayo, wenn mit dem Zahlvorgang automatisch die Krankenkassenbeiträge steigen. Wir melden uns nicht krank, nachdem wir etwas zu lange gefeiert haben, wenn unser Arbeitgeber über Letzteres Bescheid weiß. Und würden Sie mit der schönen Frau oder dem schönen Mann am Tresen flirten, wenn Sie wüssten, dass er oder sie Träger oder Trägerin eines Gendefekts mit 5 0-prozentiger Wahrscheinlichkeit für eine Erbkrankheit ist und ein potenzielles Kind womöglich behindert sein wird?
    Diese Szenarien lassen sich beliebig fortsetzen   – und laufen alle auf das Gleiche hinaus: ein Leben, in dem alle anderen genau über uns, unsere Eigenschaften, unsere Ansichten, unsere Aktivitäten, unser Fehlverhalten informiert sind. Das wäre das Orwell’sche ›1984‹ für das dritte Jahrtausend, oder das, was unter dem Stichwort »Gleichschaltung« von den Nationalsozialisten versucht wurde, die allerdings erheblich weniger technische Möglichkeiten zur Verfügung hatten. Eine Gesellschaft, die solchen Regeln unterliegt, wird unmenschlich, es sei denn, sie entwickelt parallel eine schier unmenschliche Toleranz gegenüber der Fehlerhaftigkeit der Mitmenschen, so dass jedem alles jederzeit auch verziehen wird. De facto wäre der Konformitätsdruckauf den Einzelnen so enorm, dass wir uns wahrscheinlich alle in einer kollektiven Irrenanstalt wiederfänden.
    Es gibt gute Gründe dafür, dass das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber bereits mehrfach in die Schranken gewiesen hat, wenn dieser zu datenhungrig wurde. Im berühmten Volkszählungsurteil von 1984 gaben die Richter des Bundesverfassungsgerichts die Leitlinie der Idee der informationellen Selbstbestimmung vor:
    »Individuelle Selbstbestimmung setzt aber   – auch unter den Bedingungen moderner Informationsverarbeitungstechnologien   – voraus, daß dem Einzelnen Entscheidungsfreiheit über vorzunehmende oder zu unterlassende Handlungen einschließlich der Möglichkeit gegeben ist, sich auch entsprechend dieser Entscheidung tatsächlich zu verhalten. Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffende Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden   … Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen.«
    Als der Begriff »informationelle Selbstbestimmung« geprägt wurde, war mit dem Wort »Rechner« etwas gemeint, was wir heute nur noch aus Filmen kennen: Großrechenanlagen. Also riesige Hallen mit Rechenknechten, zu denen nur wenige Zugang hatten, die nur wenige Nutzer an sogenannten Terminals hatten. Rechenzeit   – also die Nutzung der Rechenkapazitäten   – war teuer und ein knappes Gut. Und Programme waren umständlich zu schreiben. Das hat sich vollkommen verändert. Die modernen Computer langweilen sich die meiste Zeit, weil ihre Kapazitäten nicht vollständig genutzt werden. Was früher ein Großrechner leistete, wird heute schon von der Leistung der in Waschmaschinenund Mobiltelefonen verbauten Prozessoreneinheiten um ein Vielfaches übertroffen. Und der früher knappe Speicherplatz ist in Mengen und

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