Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft
(die Knef nackig von hinten, Sterbehilfe sowie ein Selbstmord), passt heute in eine Folge der ›Lindenstraße‹. Wer sich heute alte Ausgaben von »Schmuddelheftchen« wie ›Coupé‹ oder ›Playboy‹ ansieht, muss ob der dargebotenen Formen und Farben vermutlich eher lachen. Der ›Playboy‹ war anno Schulhof noch höchst interessant, weil er mehr Fleisch zeigte, als die meisten anderen verfügbaren Hefte, auch zum Ausklappen. »Die guten Seiten sind schon weg«, hieß es dann. Doch die Erotik der 1970er und 1980er verblasst vor den Motiven heutiger Werbeplakate an der Bushaltestelle. Sex ist kein Tabu, aber auch kein öffentliches Thema im eigentlichen Sinne. Sexualität ist schlicht normaler Bestandteil der Identität und des Alltages und nicht mehr »schmuddelig«, wie Reeperbahn und Herbertstraße auf Sankt Pauli oder die ›Heiße Besen – Teil 13‹-Pornos früherer Jahre.
Nicht alles, was Sex ist, ist Pornografie, auch nicht im Netz. Aber beides fühlt sich im Internet sehr zuhause. Die gefühlte Anonymität bietet einen Schutzschirm, um sich nach Partnern, Porno und Pläsir umzusehen. Da gibt es Datingportale – über deren Erfolgszahlen vielleicht aus gutem Grund nur wenig bekannt ist – für Spielgefährten, Fachforen und Austauschplattformen für ausgefallene Interessen und Praktiken (auch für solche, die niemand gutheißen kann). Und es gibt eine Vielzahl von Internetseiten, auf denen ohne größere Einschränkungen von Bildchen leicht bekleideter Menschen bis hin zu fleischthekenähnlicher Sexdarstellung alles Mögliche und Unmögliche dargeboten wird. Nur wo bezahlt werden soll, gibt es ein paar – auch nicht sonderlich schwer zu umgehende – Hürden, um Minderjährige von diesen Seiten fernzuhalten. Ist das schlimm? Und wenn ja, wieschlimm? Den Einsatz welcher Mittel rechtfertigt so eine Einschätzung?
Die Blütezeit des Jugendmedienschutzes waren die 1980er und 1990er. Sitz der »Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften« war Bonn, damals noch beschauliche Bundeshauptstadt. Heute heißt die Einrichtung »Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien« und sitzt immer noch in Bonn. Für die noch junge Computerwelt war sie schon damals fast eine Lachnummer. Sie prüfte Bücher, Schallplatten und Spiele – und konnte, wenn das Urteil entsprechend ausfiel, ein Gütesiegel verleihen: Dieses Medium enthält Sex, Gewalt oder radikales Gedankengut und landet daher auf dem Index. Auf dem Index. Wie bei der katholischen Kirche, wo von 1542 bis zur offiziellen Abschaffung 1966 Tausende Bücher auf dem »Index Librorum Prohibitorum« (dem Verzeichnis verbotener Bücher) landeten. So wie Rom meinte, den Glauben und vielleicht auch die Gläubigen schützen zu müssen, so schützte diese offizielle Institution der Bundesrepublik die Heranwachsenden vor üblen Medien. Zwar wurde auf eine Verbrennung von Medien und Autoren im Regelfall verzichtet, doch manchmal griff man zum härtesten verfügbaren Mittel: der Beschlagnahmung. Der wohl bekannteste Fall dürfte das 1993 / 94 erschienene Computerspiel »Mortal Kombat II« sein. Die Spielezeitschrift Amiga Joker schrieb noch zu ihrem Testurteil: »Zuschlagen, bevor die BPS es tut«. Daraufhin wurde jedoch nicht nur das Spiel eingezogen, sondern auch die Ausgabe der Zeitschrift. Erst 2005 wurde die Beschlagnahmung aufgehoben und in eine Indizierung umgewandelt.
Die Liste der aus heutiger Sicht absurden Prüfurteile der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften ist lang: Selbst Ausgaben der Jugendzeitschrift ›Bravo‹ kamen auf den Index. Anlass war die Veröffentlichung von Anleitungen zur Selbstbefriedigung für Mädchen 1972, oder wie es der damalige Leiter der Behörde Rudolf Stefen per Bescheid wissen ließ: »Die Geschlechtsreife allein berechtigt noch nicht zur Inbetriebnahme der Geschlechtsorgane.« Auch Filme und Schallplatten wurden indiziert, wie das 1984 erschienene Album ›Debil‹ der Berliner Punkband Die Ärzte, das 1987 mit dem »Gütesiegel der Schulhöfe« ausgezeichnet wurde. Der Grund dafür waren Liedtexte, über die wir heute eher schmunzeln würden oder die man damalswie heute natürlich auch einfach doof finden kann. Besonders wild sind sie definitiv nicht. Die Band reagierte auf eigene Weise: Sie veröffentlichte eine komplette Platte, auf der nur ihre indizierten Titel enthalten waren. Sie hieß »Ab 18«, und auf der Rückseite der Schallplattenhülle ließen die Musiker gut
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