Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft
wieder geografische Grenzen sichtbar. So können wir zum Beispiel nicht beliebig Musik oder Filme in anderssprachigen Versionen von Apples iTunes-Store kaufen. Sondern sollen stattdessen noch so lange warten, bis die Inhalte auch bei uns verfügbar sind. Vielleicht eine der Erklärungen dafür, weshalb zum Beispiel Webseiten, die aktuelle amerikanische Fernsehserien zeigen und keine Rücksicht auf das deutsche Urheberrecht nehmen, sehr populär sind.
Aber nicht nur die Grenzen haben sich verändert. Wir selbst verändern unser Verhalten. Wir schreiben Texte, veröffentlichen Fotos und Filme – und stellen diese wiederum über einen Dienstleister ins Netz, dessen Geschäftsmodell auf unserem Mitwirken basiert. Wir sagen vielleicht, welches Restaurant uns gefallen hat, bewerten Hotels und Bücher, schreiben in Blogs, bei Facebook, Twitter oder GooglePlus, Wer-Kennt-Wen oder SchülerVZ, was uns beschäftigt oder interessiert. Wir bieten selbst in digitalen Kleinanzeigenmärkten oder bei Onlineauktionshäusern Waren an, wir diskutieren bei Zeitungswebsites mit und teilen unsere Hochschulhausarbeiten. Wir betreiben selbst Internetseiten. All das macht uns zum Teil des Marktgeschehens. Das rüttelt an der klassischen Aufteilung von Produzenten und Konsumenten. Nur: Darauf, was das sozusagen im Hinblick auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen heißt, gibt es bislang kaum befriedigende Antworten. Es ist bei weitem nicht der einzige Bereich, in dem die Netzpolitik den Kinderschuhen noch nicht entwachsen ist.
Jugendschutz
Kinder sind die Zukunft. Jugendliche sind für allerlei Unfug empfänglich, und die Fürsorgepflicht für sie liegt bei den aufgeklärten, klugen, gebildeten Erwachsenen. Sie wissen, was wann in welchem Maße gut für den Nachwuchs ist und was wie an diese Gruppe herangetragen werden kann und darf. So in etwa lässt sich der Gedanke beschreiben, der dem Jugendschutz zugrunde liegt: Jugendschutz, das ist der Schutz der Jugend vor dem Übel dieser Welt. Das reicht vom Zugang zu Alkohol und Zigaretten über die Frage, wann sie in Clubs und Diskotheken gehen dürfen, bis hin zu Fragen des Jugendmedienschutzes. Welche Filme, welche Webinhalte, welche Spiele und welche Musik sind für sie geeignet – und bei welchen müssen die Anbieter dafür sorgen, dass sie nicht für Kinder und Jugendliche zugänglich sind, oder zumindest nicht beworben werden?
Was in der realen Welt, also im normalen Leben, noch verhältnismäßig einfach kontrollierbar scheint, ist es im digitalen Zeitalter nicht mehr. Die Verkäuferin an der Supermarktkasse kann den 1 2-Jährigen fragen, ob er wirklich schon 18 ist und eine Flasche Johnny Walker kaufen darf, und sich den Ausweis zeigen lassen. Sie kann das auch bei dem Spiel, das »Ab 16« ist, tun. Aber wenn er das Spiel nicht bekommt und wirklich haben möchte, dann geht er nach Hause und verschafft es sich übers Internet, als Kopie von einem Freund oder auf einem anderen Weg. Dem Computer und dem Programm ist es egal, ob ein 1 2-Jähriger oder ein 2 1-Jähriger davor sitzt.
In den Augen mancher Jugendschützer gehört nicht nur die Zugänglichmachung von Sexdarstellungen unterbunden. Auch Gewaltdarstellungen sind ein großes Problem. Dabei geht es nicht nur um »Killerspiele«. Wenn man manchen Experten lauscht, hat man das Gefühl, das ganze Internet ist voller Szenen roher Gewalt. Hier treffen zwei Welten aufeinander. Auf der einen Seite die der Jugendschutzpolitiker, die traditionell einen sehr bevormundenden Ansatz verfolgen: Kinder und Jugendliche müssen vor allem bewahrt werden, was ihnen vielleicht Schaden zufügen könnte. Auch wenn die reale Welt ganz anders aussieht: Das wattierte Leben ist das Beste für eine ungestörte Entfaltung der Persönlichkeit. Auf der anderen Seite steht mit dem Internetund den digitalen Medien eine Infrastruktur, die keine Gesichtskontrolle kennt und die gegenüber allen ihren Inhalten grundsätzlich neutral ist: Das Netz liefert, wenn es so arbeitet, wie es soll, alles, ungeachtet des Inhalts, ungeachtet des Absenders oder Empfängers. Es führt keine Alterskontrolle durch.
Darüber hinaus haben sich aber auch die allgemeine Wahrnehmung und die gesellschaftliche Mentalität verändert. Was früher als unsittlich galt, ist heute normal. In den frühen 1950er-Jahren hätten Kirchenvertreter in den Selbstkontrollgremien gerne den Film ›Die Sünderin‹ mit Hildegard Knef von den Kinoleinwänden ferngehalten. Was dort zu sehen ist
Weitere Kostenlose Bücher