Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft
zwischen Menschen und letzten Endes auch für einen funktionierenden Staat. Wir vertrauen darauf, dass wir für Konfliktlösungen und ein friedliches Zusammenleben nicht nur auf uns selbst gestellt sind, sondern übergeordnete Instanzen dafür haben. Vor dem Gesetz sind wir alle gleich. Wir müssen uns darauf verlassen können, dass die Sanktionierung von Fehlverhalten durch die dafür zuständigen und dafür legitimierten Institutionen auch stattfindet. Die Regeln dafür unterliegen ebenfalls einem stetigen Wandel. Es ist einer der Kernbereiche dessen, was wir unter Politik verstehen: Regeln zu finden, wie wir in unserem Staat miteinander gut leben können. Staatlichkeit heißt heute in erster Linie: Interessenausgleich zu organisieren.
Die gut 600 Abgeordneten im Bundestag sind natürlich genauso wenig allwissend wie alle anderen Staatsbürger, sie agieren nicht im luftleeren Raum und oft werden sie erst aktiv, wenn Interessen an sie herangetragen werden. Das kann Tante Trudi aus Traunstein sein, die einem Abgeordneten einen Brief schreibt und dabei aufzeigt, warum eine Regelung nicht so ist, wie sie sein sollte. Das kann aber auch ein großes Wirtschaftsunternehmen sein, das sagt: Die Rahmenbedingungen müssen hier und da geändert werden, sonst können wir keine Gewinne mehr machen – mit der Konsequenz, dass man entweder den Standort wechselt oder den Laden dichtmacht. Und dann gibt es noch die große Gruppe der intermediären Organisationen und gesellschaftlichen Akteure. Ob Verbände, Vereine, Kirchen, Medien: Sie alle nehmen Einfluss auf die Regelsetzung. Wer sich nicht in den Debatten artikuliert, wer keine Lobby hat, bleibt im Interessenausgleich oftmals außen vor.
Es ist ein gängiges Vorurteil, dass Politiker wohl manchmal nicht ganz zurechnungsfähig oder gar dumm sind. Wie sonst könnten sie immer wieder Dinge beschließen, die derartig absurd wirken? Natürlich sind die meisten Politiker nicht dumm, sondern intelligent und auf dem einen oder anderen Themengebiet sogar kompetent. Es ist nicht Dummheit, die zu fragwürdigen Ergebnissen insbesondere in der Netzpolitik führt. Es ist vielmehr Ignoranz und die im Laufe von Politikerkarrierenoft eintretende Borniertheit gegenüber allem, was von außen kommt. Wer Politik macht, darf keine Fehler machen oder gemacht haben. Fehler sind eine Schwäche, und deshalb kommt kaum ein Abgeordneter, Minister oder gar Kanzler auf die Idee, ebensolche einzugestehen. Zudem sind Parlamente arbeitsteilig organisiert. Kaum ein Parlamentarier kennt sich in allen Fachgebieten, mit denen er zu tun hat, gleichzeitig aus. Das kann auch gar nicht sein. Die Themenfülle, die von innerer Sicherheit über Außenbeziehungen und Wirtschaftspolitik bis hin zur Fischerei-, Tourismus- und Netzpolitik reicht, ist groß. Auch wenn Abgeordnete eigentlich fachlich zuständig wären, gibt es keine Garantie dafür, dass sie den konkreten Fall wirklich einschätzen können.
Da gibt es zum Beispiel den Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages Siegfried Kauder. Siegfried Kauder ist Jurist und gilt als exzellenter Strafrechtler. Der Rechtsausschuss ist das parlamentarische Gremium, das sich mit allem beschäftigt, mit dem sich auch auf Regierungsseite das Justizministerium beschäftigt. Zum Beispiel mit dem Urheberrecht. Kauder ist neben seiner Tätigkeit als Abgeordneter aber auch Vorsitzender der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände. Und die wiederum nehmen Musik auf, veröffentlichen diese auf Tonträgern, spielen diese live und verdienen – oft nicht viel, aber manchmal doch – Geld mit ebendiesen Auftritten und Aufnahmen. Ob beide Funktionen miteinander vereinbar sind, sei dahingestellt. Auf jeden Fall äußerte sich Siegfried Kauder im September 2011 auch zu der Debatte rund um das Urheberrecht.
Sogar recht deutlich: Wer im Internet gegen das Urheberrecht verstoße, zum Beispiel, indem er unrechtmäßig Kopien verteilt, der solle verwarnt und bestraft werden. Das erinnerte an die in Frankreich existierende Regelung, nach der es erst zwei Warnungen gibt, und beim dritten Mal soll den Nutzern sodann der Internetzugang gesperrt werden. Es ist das sogenannte »Lois Hadopi« – auch bekannt als » 3-Strikes -Modell« (Drei Streiche). Damit hätte man in Deutschland rechtlich ein großes Problem, denn davon ist ein Grundrecht betroffen, der freie Zugang zu Information, für den das Internet so wichtig geworden ist, dass man diesen Zugang nicht
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