Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft
Form anteilig mit denjenigen geteilt wird, die dieses benötigen, um tätig zu werden. Das findet in den internen Kommunikationssystemen von Regierungen statt. Früher war der Informationsfluss analog geregelt. Wer wozu Zugang erhalten sollte, war an den Stempelaufdrucken zu erkennen: Verschlusssache, Nur für den Dienstgebrauch, Geheim, Streng Geheim sind zum Beispiel die deutschen Vertraulichkeitsklassen. In den USA gibt es fast eine Million Menschen, die Zugriff auf die höchste Vertraulichkeitsstufe »Top Secret« haben.
Auch der Soldat Bradley Manning hatte im Irak Zugang zu wesentlichen Informationen aus dem internen Netzwerk derU S-Streitkräfte und des Pentagon. Und mutmaßlich war er es, der sich dafür entschied, die Geheimhaltungsverpflichtungen zu ignorieren. Insgesamt rund 250 000 Depeschen, sogenannte »Cables«, gelangten so zu WikiLeaks – Berichte aus U S-Bot schaften in aller Welt. Diese stellte WikiLeaks erst einigen Print-Magazinen zur Verfügung, um sie zu sichten, und veröffentlichte dann einen Teil davon im Internet. Diese Depeschen hatten es in sich: Sie enthielten Informationen über Anweisungen des Außenministeriums an die Mitarbeiter, Informationen über diejenigen, die den Botschaften Informationen lieferten, und nicht zuletzt die Einschätzungen der Mitarbeiter zu den Ereignissen in ihren jeweiligen Ländern. Darin steckte jede Menge politischer Sprengstoff. Und bis heute sind viele der Dokumente nicht abschließend gesichtet.
Fundstücke im Cable-Salat
Betrachten wir ein kleines, unscheinbares Cable vom 10. Februar 2010. 10BERLIN180 heißt es, kommt aus der U S-Bot schaft in Berlin und ist als »Vertraulich« klassifiziert. Es trägt die Überschrift »Kanzlerin Merkel über fehlende Unterstützung der Mitglieder des Europäischen Parlaments für Terror-Finanztransaktionsüberwachungsprogramm«.
Europaparlamentarier aller Fraktionen, auch der Christdemokraten, hatten kurz zuvor einem Abkommen mit den USA die Zustimmung verweigert, das dem transatlantischen Partner weitgehende Zugriffsmöglichkeiten auf europäische Finanztransaktionen einräumte. In der Öffentlichkeit war dieses Thema etwas mehr präsent als die meisten anderen Abkommen dieser Art, denn zu dem Zeitpunkt tobte bereits die Debatte um Datenschutz in Deutschland, und nicht zuletzt auch um die Frage, ob europäische Daten in den USA ausreichend geschützt wären. Öffentlich zeigte sich die U S-Regierung äußerst gelassen. Doch die Depesche belegt, wie ernst die U S-Diplomaten das Thema nahmen – und auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ihr Parteifreund und damaliger Hamburger Bürgermeister Ole von Beust unterhielt sich darüber mit dem U S-Botschafter . Und er plauderte aus dem Nähkästchen: Am Vorabend habe er sichmit Merkel getroffen und sie sei »sehr, sehr verärgert gewesen – mehr, als er sie jemals gesehen habe«. Sie hatte persönlich versucht, die Unionsabgeordneten im Europaparlament davon zu überzeugen, für das Abkommen zu stimmen. Die U S-Botschaft zeigte sich überrascht vom Abstimmungsergebnis: »Auch wenn wir damit gerechnet haben, dass FDP und Grüne sich stark gegen die Vereinbarung aussprechen, war der weitgehende Mangel an Unterstützung durch CDU/CSU und Sozialdemokraten unerwartet.« Das Ergebnis der Abstimmung habe gezeigt, dass »wir unser Engagement bei Gesprächspartnern der Bundesregierung, bei Europaparlamentariern und Meinungsmachern intensivieren müssen.« Zudem müssten die Vereinigten Staaten zeigen, dass es bei ihnen »starke Datenschutzmaßnahmen gebe, so dass der Zugriff auf Daten mit entsprechendem Datenschutz einhergehe«. Das ist ein verhältnismäßig harmloses Beispiel, aber auch hier hatte das US State Department sicher nicht gewollt, dass diese Nachricht an die Öffentlichkeit gelangte. Derartige Gespräche finden vertraulich statt, die Informanten bleiben gleichermaßen geheim wie die Inhalte. Doch ein Leck reichte aus, um nicht nur die kleinen Details transatlantischer Verstimmungen ans Tageslicht zu bringen, sondern auch größere Verwerfungen zu erzeugen, insbesondere in anderen Regionen der Welt.
Die Staaten im Nahen und Mittleren Osten, deren Regenten von den USA als Verbündete benötigt und unterstützt werden, werden in den Cables teils stark kritisiert. Zu den brisanten Dokumenten gehört auch eine Depesche mit der Nummer 09ISLAMABAD2295: Sie enthält eine Einschätzung der U S-Bot schafterin in der pakistanischen Hauptstadt zur
Weitere Kostenlose Bücher