Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft
System von Übergabepunkten, Ein- und Ausleitungen geschaffen. Wir, die Nutzer, sorgen dafür, dass in diesem System etwas stattfindet: Wenn wir beispielsweise auf YouTube gehen und sagen, dass wir uns ein Video anschauen wollen, findet Verkehr, englisch »Traffic«, statt. Die Bits und Bytes, die beim Aufruf selbst durch das Netz flitzen, sind so wenige, dass sie in ihrer Gesamtsumme für die Anbieter irrelevant sind. Doch sobald ein Video läuft, werden in einem kontinuierlichen Strom nennenswerte Datenmengen durch das Netz geleitet: von den Rechnern des Anbieters zu dem Rechner desjenigen, der sich das Video ansieht.
Die Datenmengen, die die Nutzer im Netz senden und abrufen, steigen. Die Netzbetreiber müssten eigentlich ihre Netze weiter ausbauen. Wenn immer mehr Menschen und Geräte immerhäufiger und mit mehr Datenhunger das Netz nutzen, dann sind höhere Kapazitäten vonnöten. Hier setzt nun ein klassischer marktwirtschaftlicher Effekt ein: die Verknappung. Was knapp und begehrt ist, kann für einen höheren Preis verkauft werden als etwas, das in großer Menge zur Verfügung steht – unabhängig vom eigentlichen Wert. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis, und wenn die Nachfrage hoch ist, kann der Preis hochgetrieben werden. Am formalen Preis möchten die Internetanbieter allerdings nicht drehen. Es gibt nämlich einen Wettbewerb unter den Anbietern von Internetzugängen, der nicht gerade mit Samthandschuhen ausgetragen wird. Was könnten die Firmen also stattdessen machen?
Sie könnten einfach den Verkehr auf ihren Leitungen manipulieren. Manche Anbieter propagieren ein Modell, bei dem es bevorzugte und nicht bevorzugte Daten gibt. Sie wollen Daten »unterscheiden«, was im lateinischen Wortsinne diskriminieren heißt. Das kann man sich etwa so vorstellen: Wenn man ein großes Rohr für Flüssigkeiten nimmt, kommt am Ende immer das als Erstes heraus, was man als Erstes hineingepumpt hat. Pumpt man zuerst Wasser hinein, kommt am Ende wahrscheinlich zuerst Wasser heraus. Pumpt man nach dem Wasser Champagner hindurch, kommt am Ende mit dem Wasser der Champagner heraus. Man kann aber in dieses große auch mehrere kleinere Rohre hineinlegen: eines für Bier, eines für Wein, eines für Champagner. Dann bleibt vom großen Rohr weniger übrig, aber in den kleinen Rohren fließt immer etwas, unabhängig davon, wie viel im großen Rohr gerade los ist. Es hat eine garantierte Bandbreite, die dem Rest des Rohres nicht mehr zur Verfügung steht.
Der Vergleich stimmt nicht zu hundert Prozent. Das Internet hat keine physischen Rohrwände. Aber er kann das Problem gut illustrieren: Während vorher alle Daten durch das gleiche Rohr müssen und kein Unterschied zwischen ihnen gemacht wird, gibt es nachher jemanden, der entscheidet, wer wie viel von dem Rohr abbekommt. Und der damit auch die Bedingungen diktieren kann: Wenn du Schampus willst, dann kannst du an das Rohr mit dem Champagner angeschlossen werden. Das kostet dich allerdings mehr. Und wenn du das nicht möchtest, dann bleibt für dich noch das Restrohr übrig. Das ist zwar kleiner als vor der Einführung der Champagner-, Whisky-, Scotch-, Bier-,Rotwein-, Weißwein-, Schaumwein- und Schnapsrohre, aber das ist ja nicht das Problem des Anbieters, sondern das der Nutzer. Wenn man bei dem Bild bleibt, gibt es sogar noch eine Steigerung: Der Anbieter schaut am Anfang des Rohres, was hineingeschüttet wird. Wer nur Bier hindurchschicken will, wird daran gehindert. Das ist keineswegs Zukunftsmusik, sondern heute bereits in manchen Netzen Realität.
So gibt es Mobilfunk-Anbieter, die ihren Kunden »Internetzugänge« versprechen. Was sie in Wahrheit meinen, ist etwas anderes: Sie bieten Zugang zu Teilen des Internets. Denn sie filtern bestimmte Arten von Verkehr einfach aus, sie behindern die Übertragung bestimmter Inhalte. Insbesondere eine Art von Diensten ist ihnen ein Dorn im Auge: die Telefonie über das Internet. Die Telefonie ist ein Geschäftsbereich, an dem die Telekommunikationsanbieter viel Geld verdienen. Technisch betrachtet ist »Voice over IP«, wortwörtlich »Stimmübertragung über das Internetprotokoll«, heute ein Standard, den auch die Telekommunikationsanbieter selbst intensiv in ihren Netzen verwenden. Wer heute telefoniert, tut dies in einem Großteil des Netzes in digitaler Form, auch wenn er selbst einen klassischen sogenannten Analoganschluss verwendet. Bei Mobiltelefonie gibt es seit 2009 in Deutschland keine analogen Zugänge
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