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Die Diktatorin der Welt

Die Diktatorin der Welt

Titel: Die Diktatorin der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Mahr
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durchzuführen, hatte er gestern abend begonnen, das Modell eines Perzeptionszentrums auf statistischem Wege so zu entwickeln, daß er jederzeit glaubhaft machen konnte, sein rascher Erfolg sei purer Zufall.
    Das Resultat seiner Rechnungen war auf Band gespeichert. Er verdunkelte den Raum und schaltete den Ausgabesektor des Komputers auf optischen Auswurf. Auf der Projektionsfläche erschien zunächst das Programm, nach dem Jernigan gearbeitet hatte. Ken überflog es und gab zu, daß Jernigan genug Optionen und Verzweigungen eingebaut hatte, um, wenn der Zwischenfall der vergangenen Nacht nicht gewesen wäre, glaubhaft behaupten zu können, er hätte den richtigen Weg nur infolge eines Zufalls gefunden.
    Ein Bild erschien, zusammengesetzt aus den gestochen scharfen Symbolen, mit denen die Rechenmaschine arbeitete. Rund dreißig Punkte bildeten einen großen Kreis. Die Punkte waren untereinander nicht verbunden, aber von jedem lief eine gerade Linie auf den Mittelpunkt des Kreises zu. Die Linien erreichten das Kreiszentrum nicht. Auf halbem Wege mündeten sie in einen kleineren Kreis, der jeweils zwischen zwei von außen kommenden Linien eine Art Knoten aufwies. Von jedem der Knoten führte eine weitere Linie in den Kreismittelpunkt, wo sich alle von den Knoten herkommenden Linien in einem Punkt vereinigten.
    »Sie sehen hier«, begann Jernigan mit seiner Erklärung, »das entmutigende Endprodukt einer Entwicklung, die Milliarden von Jahre gedauert hat – wenn wir uns der Einfachheit halber des Zeitmodells bedienen.« Ein kleiner, heller Lichtpfeil tauchte auf und zeigte auf einen der Punkte im äußeren Kreis. »Das hier ist ein individueller Wahrnehmungsmechanismus, ein binäres Eingabe-Ausgabe-Gerät, dessen Elemente polarisierbare Nukleinmoleküle sind. Hier treffen die von den Sinnesorganen gemachten Wahrnehmungen zusammen und werden in Impulse verwandelt, die das Bewußtsein verarbeiten kann.«
    Ein zweites Bild erschien neben dem ersten. Es bestand nur aus der kreisförmigen Anordnung von Punkten und aus Linien, die von jedem der Punkte ohne Unterbrechung bis zum Kreismittelpunkt liefen. Der kleinere Kreis mit den Knoten fehlte völlig.
    »So begann es«, fuhr Jernigan fort. »Jeder der Mechanismen besaß das gleiche Recht wie die andern. Was ihnen zugeführt wurde, verarbeiteten sie und sandten es an das Kreiszentrum, von wo aus die Masse der Impulse an das Bewußtsein weitergeleitet wurde.
    Das Bewußtsein revoltierte sogleich gegen die ungeheure Zahl von Eindrücken, die verarbeitet werden mußten. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, erwies sich das organische Bewußtsein vom ersten Augenblick an als Fehlkonstruktion. Es war wie ein kleiner Zwanzig-Watt-Motor, der von einem Tausend-Kilowatt-Generator gespeist wurde. Es besaß jedoch die Fähigkeit, sich zu schützen. Um bei dem Vergleich zu bleiben: Es konnte einen Widerstand einbauen, der die Generatorspannung bis auf ein erträgliches Maß verringerte.
    Das Ergebnis sehen wir hier.« Der Lichtpfeil wanderte zurück zum ersten Bild. »Im Zuge der Entwicklung entstand der innere Kreis, der die von den Wahrnehmungsmechanismen gelieferten Impulse aufnahm, stapelte und aussortierte. Die ursprüngliche Funktion der Knoten war, die Pulse so zu ordnen, daß sie das bildeten, was das Bewußtsein inzwischen als eine ›logische Folge‹ definiert hatte. Die Impulse, die von einem Stein herrührten, wurden also so sortiert, daß jeder Puls den Stein in geringerer Höhe zeigte als der vorherige. Das Bewußtsein deutete die Wahrnehmung: Der Stein fällt.
    Allerdings gab es immer noch beträchtliches Durcheinander. Zwar war jetzt dafür gesorgt, daß alle Steine nach unten fielen, anstatt nach oben zu steigen, aber es gab immer noch Zehntausende von Steinen, die simultan nach unten fielen und von denen jeder aus einer anderen Universenserie stammte.
    Die Funktion der Knoten wurde erweitert. Sie begannen als Sperre zu wirken. Sie sorgten dafür, daß jede an das Bewußtsein weitergeleitete Impulssequenz nur von einem bestimmten Wahrnehmungsmechanismus herrührte. Die Arbeit des Bewußtseins wurde dadurch wesentlich erleichtert. Es bekam jetzt nur noch Bilder aus jeweils einer bestimmten Universenserie zu sehen, und es sah sie so, daß sich notgedrungen ein Sinn für Zeitablauf entwickeln mußte.
    Im Laufe der Zeit wurden gewisse Wahrnehmungsmechanismen von den Knoten im inneren Kreis derart vernachlässigt, daß sie aufhörten zu funktionieren. Darüberhinaus

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