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Die Diktatorin der Welt

Die Diktatorin der Welt

Titel: Die Diktatorin der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Mahr
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zwei Dinge. Erstens die Ruhe. Die Diszipliniertheit, mit der sich alles abspielte. Es gab kaum laute Worte, keine freundlichen Grüße aus einem der Wagen an einen auf dem Bahnsteig wartenden Bekannten. Es gab keine Kinder, die den Erwachsenen zwischen den Beinen herumtollten und im Übermut lärmten. Die Menschen waren ernst.
    Das zweite war die Kleidung. Die Leute trugen sich gesittet, in dezenten Farben. Man sah solche Kleidung auch in Epcot, wahrscheinlich sogar häufiger als das grelle Bunt, mit dem Modeschöpfer die Menschheit in regelmäßigen Abständen zu überschütten pflegten. Der Unterschied war der, daß hier das Bunt völlig fehlte. Es war nicht in der Minderzahl; es war überhaupt nicht da.
    Die politischen Slogans waren kunstlos und primitiv wie die in den Diktaturen des zwanzigsten Jahrhunderts auf der Erde.
    EINHEIT VERHILFT ZUR MACHT ...
    UNSER OBERSTES GEBOT: DEN VOLKSFEIND ZU SCHLAGEN ...
    OPPORTUNISMUS BEDEUTET VERRAT ...
    Und ein riesiges Leuchtschild mit dem idealisierten Bild Nenus als einer Art antiker Göttin, die mit lodernder Fackel und wallendem Gewand über das Land schritt:
    FOLGT IHR AUF DEM WEG ZUM SIEG UND ZUR FREIHEIT!
    Nach etwa einstündiger Fahrt entschloß sich Jernigan auszusteigen. Sie fuhren eine breite Rolltreppe hinaus, ohne kontrolliert zu werden, und kamen auf eine breite Hauptverkehrsstraße, über deren Bürgersteige sich Ströme von Fußgängern in beiden Richtungen wälzten, während auf der Fahrbahn mehrere Reihen von flinken, funkleitgesteuerten Fahrzeugen aneinander vorbeiglitten.
    Jernigan hielt sich aufs Geratewohl nach rechts. Es war klar, daß sie sich nahe der Stadtmitte befanden. Ein Geschäft reihte sich an das andere, aber wenn auch ihre Auslagen reichhaltiger waren als die in Periklon, so verblüffte auch hier die fast vollständige Abwesenheit jener Art von halb schreiender, halb tiefenpsychologischer Reklame, wie Ken sie von den Städten seiner Welt gewohnt war.
    Jernigan bog in eine schmalere Seitenstraße ab, die für den motorisierten Verkehr gesperrt war. Die Dichte der Ladengeschäfte war hier auffallend geringer als auf der Hauptstraße, und die Auslagen machten einen ärmlichen Eindruck. Die Leute, die ihnen begegneten, waren nachlässig, wenn nicht sogar schmutzig gekleidet. Jernigan sah sich um und fand nach einer Weile, was er suchte. Von einer Fassade ragte ein altes Blechschild in die Straße und verkündete mit halb verblichener Aufschrift, daß sich in diesem Gebäude ein Hotel befinde.
    Durch eine Tür mit trübe gewordenen Glassitscheiben betraten sie ein anspruchsloses Foyer. Sessel und Tische, schäbig und verblichen, standen in malerischer Unordnung herum. Im Hintergrund führte eine altmodische Treppe mit festen Stufen zum ersten Stock hinauf. In der Seitenwand stand die Tür zum Aufzug offen. Zwischen dem unteren Türrand und der Bodenplatte der Aufzugkabine klaffte ein Spalt von zwei Zentimetern. In früheren, reicheren Zeiten mochte dieser Aufzug ein pneumatischer Lift gewesen sein. Mittlerweile hatte man den Druckluftantrieb durch einen Seilzug ersetzt.
    Der einzige Mensch im Raum war ein unscheinbar wirkender, mittelgroßer Mann von etwa vierzig Jahren, der hinter der Empfangstheke saß und, den Kopf in beide Hände gestützt, gelangweilt vor sich hinstarrte.
    Jernigan trat auf ihn zu.
    »Zwei Zimmer«, sagte er barsch. »Wand an Wand.«
    Der Mann verlagerte das Gewicht seines Kopfes auf die linke Hand und zog mit der rechten ein Gebilde herbei, das wie ein fünfhundert Jahre altes Vergrößerungsgerät aussah.
    »Linke Schulter zur Theke«, brummte er. »Stehen Sie still.«
    Jernigan gehorchte. Der Mann drückte einen Schalter im Sockel des Geräts. Es klickte.
    »Der nächste«, brummte der Mann.
    Ken stellte sich neben die Theke. Die Prozedur wurde wiederholt.
    »Für wie lange?« fragte der Mann.
    »Das wissen wir nicht«, antwortete Jernigan. »Wir bezahlen für fünf Tage im voraus.«
    Der Mann zog die Brauen in die Höhe. Sein Interesse schien geweckt.
    »Das erlebt man dieser Tage nicht mehr oft. Sie sollen die besten Zimmer haben, die es gibt. Macht fünfundsiebzig E-Es-Vau pro Person.«
    Jernigan schob einen großen Geldschein über den Tisch. Der Mann wechselte. Jernigan fischte einen Zehn-ESV-Schein aus dem Wechselgeld und reichte ihn dem Mann. An den Augen des Unscheinbaren war das Vergnügen zu erkennen, das ihm das Trinkgeld bereitete.
    »Haben die Herren Gepäck?« erkundigte er sich dienstbeflissen.
    Jernigan

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