Die Diktatorin der Welt
Geräusch hörbar wurde – der harte, metallische Klang einer Lautsprecherstimme. Das Murmeln brach ab, um eine halbe Sekunde später mit aufgeregtem Unterton wieder einzusetzen. Ken spürte die Erregung, die von der Menge ausging. Sie teilte sich ihm mit. Etwas war nicht in Ordnung, oder wenigstens anders, als es sonst war. Die Lautsprecherstimme wurde lauter und deutlicher. Ken begann, einzelne Worte zu verstehen.
»... Bürger ... Stufe ... Gesicht geradeaus ... Anlaß zur Besorgnis ... Routine ...«
Das Licht der Fluorlampen wurde plötzlich durch helles Sonnenlicht ersetzt. Der Kanal endete und mündete auf eine breite Terrasse, über der strahlend blauer Himmel leuchtete. Ein gewaltiger Raum, erfüllt von den tausendfältigen Geräuschen der Betriebsamkeit, nahm Ken auf. Er hielt sich seitwärts aus dem Strom der Reisenden heraus, der sich stumm und blind in die Mündung einer Rolltreppe ergoß, unbeeindruckt von dem grandiosen Bild, das sich von der Terrasse aus bot, zu oft schon ihm ausgesetzt und ohne Resonanz für die barbarische Schönheit der Riesenstadt, die sich zu seinen Füßen dehnte.
Ken eilte zum vorderen Rand der Terrasse. Der Rohrbahnhof von Crescent war eine gewaltige Viertelkugel aus Glassit, das Material so sorgfältig verfertigt, daß es nicht die geringste Unreinheit besaß und das Licht des jungen Tages einließ wie durch reine, gefilterte Luft. Die gigantische Halbkuppel war mehr als einhundert Meter hoch. Die Rückwand bildete geglätteter Fels, in den die Rohrbahnkanäle mündeten. Unter der Terrasse, auf der Ken stand, zogen sich andere die glatte gerade Wand entlang, jede um einige Meter breiter als die nächstobere und alle durch breite, majestätische Rolltreppen mit dem Erdgeschoß der Halle verbunden. Das Erdgeschoß war nach allen Kunstgriffen moderner Innenarchitektur gestaltet. Die nüchternen Verkaufs- und Billetautomaten waren so verkleidet, daß sie wie Dekorationen wirkten. Etwa ein Dutzend Brunnen waren unregelmäßig über den Boden der Halle verteilt und spien funkelnde Fontänen von kristallklarem Wasser. Blühende Büsche umrahmten die Brunnenbecken, bunte, exotische Vögel hatten sich im Gebüsch eingenistet und erfüllten die Luft mit ihren eigenartigen Geräuschen. Zwischen den Brunnen und den Blüteninseln der Zierbüsche ergossen sich Ströme von Reisenden, der Pracht kaum gewahr, und strebten auf die Portale zu, die die Glassitwand der Halle durchdrangen. Jenseits der Wand dehnte sich eine breite Straße mit einer gerundeten, breiten Bucht, die die Vorderwand der Halle umschloß und auf der Mietwagen auf zahlungskräftige Kunden warteten. Am Rand der Bucht führten zahlreiche Rolltreppen zu den Bahnsteigen der städtischen Nahverkehrsmittel hinab.
Jenseits der Straße senkte sich das Gelände sanft bis zum Rand der Stadt hinab. Niedriges, blühendes Gebüsch bedeckte den Hang, sorgfältig gepflegt und zu einer bestimmten Höhe geschnitten, so daß dem Neuankömmling der Blick auf Crescent, die Hauptstadt dieser Welt, nicht verwehrt wurde.
Es war der Anblick der Stadt, der Ken mehr als alles andere fesselte.
Sie war gewaltig, in einem riesigen, künstlich geschaffenen Talkessel gelegen, von den schroffen Wänden und Zinnen marmorweißer Berge umgeben. Sie erschien wie ein Bild aus einem Märchen, unglaublich in ihrer Regelmäßigkeit, ihrer Reinheit und den Formen ihrer Gebäude. Die grünen Bahnen eines riesigen Parks zogen sich quer durch das Häusermeer und formten ein Symbol von gigantischen Ausmaßen – ein X mit einem Querbalken durch die Taille des Buchstabens. Türe von kühnen Formen rahmten die Straßen, die an den Rändern des Parks entlangführten, und verliehen dem Symbol des Chi-Bar einen zusätzlichen Akzent. Die Straßen der Stadt, wie regelmäßige, schnurgerade Furchen das bunte Meer der Häuser durchziehend, strebten auf einen Punkt am gegenüberliegenden Stadtrand zu. Sie mündeten auf einen riesigen Platz, der sich um den Fuß eines Hügels zog. Der Hügel war von so geometrisch einwandfreier Form, daß er künstlichen Ursprungs sein mußte. Am Fuß durchmaß er mehr als einen Kilometer. In einhundert Metern Höhe bildete er ein Plateau von etwa achthundert Metern Durchmesser, und auf dem Plateau erhob sich ein Gebäudekomplex von solcher Pracht, daß selbst der Uneingeweihteste ohne Zögern zu dem Schluß kam, daß dort das Oberhaupt dieser Welt residierte.
Nenu, die Hauptbürgerin der Welt des Chi-Bar.
Ken, in die Betrachtung der
Weitere Kostenlose Bücher