Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Diktatorin der Welt

Die Diktatorin der Welt

Titel: Die Diktatorin der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Mahr
Vom Netzwerk:
klopfte auf seine Umhängetasche.
    »Nicht mehr als das hier«, antwortete er. »Welche Zimmer?«
    »Drei-null-acht und drei-null-neun. Nehmen Sie den Aufzug. Sie werden die Türen unverschlossen vorfinden.«
    Jernigan bewegte sich in Richtung Aufzug. Der Mann hinter der Theke sagte:
    »Hören Sie – es geht mich zwar nichts an, aber wenn jemand großzügig zu mir ist, versuche ich es wettzumachen. Ich weiß nicht, in welcher Angelegenheit Sie in der Stadt sind, aber die Polizei kommt hier im Durchschnitt alle fünfzehn Tage einmal vorbei, um die Gästeliste zu überprüfen. Und jetzt, da auf der ganzen Welt nach zwei Volksfeinden gesucht wird, wird sie wahrscheinlich noch Öfter hereinschauen.«
    Er wirkte ängstlich, als fürchtete er eine Zurechtweisung. Aber Jernigan nickte ihm nur freundlich zu und sagte:
    »Danke. Ich liebe Offenheit und weiß sie zu belohnen.«
     
    *
     
    Die Zimmer waren nicht besser, als das Äußere des Hotels es erwarten ließ, aber wenigstens waren sie eine Bleibe, in der man sich gemütlich in einen Sessel setzen und die Beine ausstrecken konnte.
    Sie waren jetzt, rechnete Ken, seit zwei Tagen in Crescent. Am ersten Tag, anderthalb Stunden nach ihrem Einzug, war die Polizei vorbeigekommen und hatte alle Gäste unter die Lupe genommen. Damals hatten sie noch nicht gewußt, daß der Mann, der aus dem Polizeigewahrsam in Periklon ausgebrochen war, einen Pulsgeber trug. Sie hatten Jernigan und ihn fünf Minuten lang ausgefragt, die Impulsstrahlung gemessen und sich wieder verabschiedet. Ken hatte noch fünf Stunden danach Magenschmerzen gehabt, aber die Polizei war nicht wiedergekommen.
    Jernigan war fast ständig unterwegs. Er nannte es »die Lage auskundschaften«. Ken mußte ihm widerwillig zugestehen, daß ein Robot für ein solches Unternehmen besser geeignet war als er selbst. Jernigan verfügte über das schnelle Reaktionsvermögen und die gigantische Erinnerungskapazität seiner mechanischen Rasse und erhielt und analysierte in einer Stunde soviel Informationen wie ein organischer Mensch in einer ganzen Woche.
    Das erste Resultat, das er nach Hause brachte, war von ausschlaggebender Bedeutung für den weiteren Verlauf des Unternehmens. Gleichzeitig bestätigte es eine von Jernigan schon vor Tagen geäußerte Hypothese. Nenu erfreute sich keineswegs der allumfassenden Beliebtheit, die die politischen Werbeschriften der Bevölkerung einzutrichtern versuchten. Auf seinen Gängen durch die Stadt hatte Jernigan manches Gespräch angehört, das von Bitterkeit, Unverständnis oder sogar offenem Widerspruch gegen die Politik der Hauptbürgerin zeugte. Es schien, soviel hatte Jernigan herausgefunden, mit der Ökonomie dieser Welt bergab zu gehen. Verschiedene von Nenu eingeführte Wirtschaftsreformen waren ausgesprochene Fehlschläge gewesen und hatten den Lebensstandard der Bevölkerung drastisch gedrückt.
    Aus diesem Blickwinkel wurde verständlich, warum Nenu in der Auswertung der Perzeptionstheorie so aktiv war und eine weltweite, kontinuierliche Hexenjagd nach sogenannten Volksfeinden veranstaltete. Die Öffentlichkeit mußte von ihrem wahren Kummer abgelenkt werden.
    Während Jernigan sich in der Stadt herumtrieb, unterhielt Ken sich mit Stapeln von Rollzeitungen, die der Mann an der Empfangstheke ihm heraufschickte, und ließ sich Mahlzeiten und Getränke durch einen Robotkellner im Zimmer servieren. Aus den Zeitungen ging hervor, daß die Suche nach den beiden Flüchtigen weiter im Gange war. Man wußte nun, daß beide einen Pulsgeber trugen. Ein Leitartikel wies darauf hin, daß diese Erkenntnis alle Untersuchungen, die vor der Entdeckung des Defekts im Pulsanalysator des Polizeihauptquartiers in Periklon angestellt worden waren, wertlos machte, weil man davon ausgegangen war, daß zumindest einer der Volksfeinde keinen Pulsgeber besaß. Der Zynismus des Artikels war unverkennbar. Ken wunderte sich, daß in einem Polizeistaat Derartiges geschrieben werden durfte. Es schien charakteristisch für die allgemeine Unzufriedenheit mit den Methoden der Regierung.
    Das Hotel hatte nicht mehr als ein Dutzend Gäste, obwohl Raum für wenigstens dreißigmal so viele existierte. Ken verließ sein Zimmer nur ein einziges Mal, als der ewig unveränderte Anblick der kahlen Wände in ihm einen leisen Anflug von Platzangst erzeugte. Er nahm die Treppe und begegnete auf dem Weg ins Foyer keinem einzigen Wesen mit Ausnahme eines alten Mannes, der gesenkten Hauptes die Stufen heraufstieg und ihn

Weitere Kostenlose Bücher