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Die Dilettanten

Titel: Die Dilettanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Wieczorek
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den Normalbürgern zerrieben wurde, desto mehr gerierte sich die FDP wieder als »Marktpartei für alle«.
    Zunächst scheinbar mit Erfolg: Selbst ein versierter Parteienforscher wie der Göttinger Politprofessor Franz Walter kommt noch im Januar 2008 zu dem Schluss: »Es sind goldene Jahre für die Liberalen … Die bürgerliche Mitte … dehnt sich aus. Der Trend zur Selbständigkeit nimmt zu. Die Deutschen sind in den letzten zwei, drei Jahrzehnten gebildeter geworden, auch toleranter, weltgewandter, kurzum: liberaler.« 29
    Da war zuerst der Traum der
New Economy
, als jedes knapp dem Analphabetismus entronnene Würstchen ein »Startup«-Unternehmen gründete und man Heftklammern in Aspik via Internet verkaufen wollte – und FDP wählte. Dann kam – ein wenig tiefer gehängt – die Casting-Epidemie-Marke
Leistungslos reich und berühmt
für den Pöbel: eine unfreiwillige Bank-rotterklärung des Neoliberalismus, die sich ja auch statistisch im Nicht-Ankommen des Aufschwungs bei den Bürgern niederschlug. Aber selbst hier mag noch das FDP-Dogma gewirkt haben:
Wer es nicht packt, ist selber schuld
– immerhin ging Guido Westerwelle im Herbst 2000 im
Big-Brother-Haus
auf Stimmenfang: »Es ist meine Aufgabe als Politiker, junge, politikverdrossene Menschen zu begeistern.« 30
    Doch nun hat man den Salat in Gestalt der Weltfinanzkrise, und die »FDP ringt mit eigener Sprachlosigkeit«
(Handelsblatt).
Folglich ist das Problem gerade nicht, wie Walter fälschlich meint, die Besetzung der Führungsetage mit Witzfiguren: »Wo früher mal Scheel, Dahrendorf und Dehler waren, ist heute nur noch Westerwelle.« 31 Den Politiktrickser Hans-Dietrich Genscher und den Marktradikalen Otto Graf Lambsdorff vergisst er an dieser Stelle zu Recht, aber die früheren Innenminister Werner Maihofer und vor allem Gerhart Baum sind schon deshalb wichtig, weil sie lange Zeit das »verfassungsliberale« und insofern eigentliche Standbein der FDP verkörpert haben: »Polizei- und Schnüffelstaat« ist mit der FDP auch heute noch schwer zu machen.
    Wer heute noch FDP wählt, tut dies zumeist freilich nicht wegen irgendwelcher bürgerrechtlicher Flausen. Der Mitgliederschwund von 86 500 im Jahr 1981 auf 65 000 Anfang 2008 spricht eine deutliche Sprache.
    Andererseits bleibt die FDP die große Hoffnung naiver Mittelständler: Es war ja tatsächlich nicht die FDP, die – auch zu Lasten des Mittelstandes – dem Raubtierkapitalismus und den Heuschrecken alle Schleusen geöffnet hat. Ebenso wenig haben Rot-Grün und Schwarz-Rot den Mittelstand vom Wust an – teils aber notwendiger – Bürokratie entlastet. So entsteht nach zehn Jahren FDP-freier Bundesregierungen bei einigen hart arbeitenden Mittelständlern die infantile Vorstellung, die FDP könne irgendetwas für sie tun, und sei es auch nur auf Kosten der übrigen Bevölkerung.
    Umfragewerte von über 15 Prozent ermutigen die FDP zu Plänen zur Teilhabe an der Macht, wobei eine schwarz-gelbe Koalition angesichts der zu erwartenden rechnerischen rot-rotgrünen Mehrheit nicht einmal die erfolgsträchtigste Option ist, wohingegen
Ampel
oder
Jamaika
sogar in diesem Bundestagschon möglich gewesen wären. Dem aber steht derzeit das eigenartige Verhältnis der FDP zu den Grünen entgegen, also die »sozialisationsbedingten Neurosen« (Franz Walter) ihres Vorsitzenden Westerwelle, der ein »fixes Feindbild« vor sich hertrage.
    Für den nämlich bestünden die Grünen »immer noch aus all den verachtenswerten Menschen, die nach einem einundzwanzig Semester dauernden, unabgeschlossenen Soziologiestudi -um eine nach A15 bezahlte Festanstellung als Schmetterlingsbeauftragte der Stadt Freiburg anstreben«. 32 Nun wäre es aber schon seltsam, wenn ausgerechnet eine Partei, die den skrupellosen machtversessenen »rationalen«
homo oeconomicus
als Menschenbild predigt, sich aufgrund äußerst irrationaler Vorurteile den Weg zu den Futtertrögen der Macht selbst versperrte.
    Ebenso vertrackt sieht es mit der natürlichen Zielgruppe der FDP aus: Die gutsituierten ellbogigen Karrieristen rund um die Generation Golf ließen sich schon vor der Wirtschaftskrise, die gleichzeitig ihre angeblich brillante Ökonomieausbildung als lächerliche Makulatur entlarvte, bestenfalls als Stimmvieh aktivieren, nicht aber für Parteiarbeit – da springt ja zunächst nichts heraus. Sie misstrauen allem, was nach »Gutmensch« riecht, also soziale Verpflichtungen, moralische Prinzipien und solidarische Regeln, kurzum: dem

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