Die Dilettanten
Preisen kaufen.
Dazu passt, dass sich ausgerechnet viele der ins gemachte Nest hineingeborenen Berufssöhne und -töchter den Grünen zuwenden und die längst sogar von der Union eingestandene Tatsache vehement leugnen, dass die soziale Herkunft über Bildung, Karriere und Einkommen mitentscheidet.
Kein Wunder auch, dass Grünen-Fans Mindestlöhne ablehnen, wohingegen ihr ehemals »kräftiger Impetus in der sozialen Frage« nur noch aufblitzt, »wenn es um üppige Gehaltserhöhungen im öffentlichen Dienst geht. Denn keine Partei ist sobeamtenhaft geprägt wie die der Grünen«, und entsprechend groß war auch die Begeisterung zu Schröders Agenda-2010-Reformen – sie selbst betraf der Sozialabbau ja nicht. Gleiches gilt für die Bundeswehreinsätze in aller Welt.
Das aktuelle Problem der Grünen ist die Unvereinbarkeit der überholten neoliberalen mit der während der Wirtschaftskrise wiederauferstandenen humanistisch-sozialstaatlichen Ideologie. »Sie müssen sich weit spreizen … feurige Appelle an die neuen Protestkohorten senden, zugleich beruhigende Worte an die nun etablierten, konservativ gewordenen Postmaterialisten von ehedem richten.« 37 »Solche Parteien« aber, wie Franz Walter süffisant bemerkt, »sehen sich stets der Gefahr ausgesetzt, als prinzipienlos und machtversessen verschrien zu sein. Die Scharnierposition mag die machtpolitische Option der Grünen vermehren, doch zugleich kann sie dann die programmatische Schärfe mindern, die politische Sprache verdünnen, die kulturelle Eindeutigkeit von ehedem vernebeln – und der Flair von Authentizität und Alternative wäre endgültig dahin.« Die Folge sieht Walter schon 2007 voraus: »Wenn die Partei der Grünen nicht aufpasst, dann werden es nicht der Herr Bütikofer oder die Frau Roth sein, die an der Spitze einer erwartbaren Öko-oder Bürgerrechtsbewegung marschieren. Der neue Typus des voranschreitenden Weltverbesserers lauert vielmehr irgendwo zwischen Jauch und Kerner.« 38
Andererseits bleiben die Grünen nach wie vor attraktiv für jene, die links wählen und rechts leben wollen.
B. Die Partei hat immer recht
Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, aber wo geht sie hin, fragte Bert Brecht, und entsprechend könnte man über die im Grundgesetz versprochenen Möglichkeiten zur Wahl der Volksvertreter frei nach Wilhelm Bendow fragen: »Ja, wo laufen sie denn hin?«
1. Ohne Parteien läuft nichts
So ähnlich wie in dem Witz
Der Feldwebel rät einem Rekruten: »Kaufen Sie sich einen Panzer und machen Sie sich selbständig«
verhält es sich mit dem Bürger und der Mitgestaltung der Gesellschaft: Der Weg zur parlamentarischen Einflussnahme führt bei uns nur über die Parteien. Wer also in der Politik etwas bewegen und selbst nicht zu kurz kommen will, der scheint in einer Partei gut aufgehoben. Aber selbst dort sind honorige Individualisten völlig chancenlos – auch bei exzellenter Sachkompetenz. Fähige, uneigennützige Politiker und sogar solche, die lediglich eine andere Meinung haben, werden oft aussortiert wie seinerzeit Rita Süssmuth, Norbert Blüm, Heiner Geißler von Helmut Kohl oder Rudolf Dreßler von Gerhard Schröder. 39
Umgekehrt führt neben unserem Parteiensystem das Listen-wahlrecht dazu, dass der Bürger Dilettanten in der Regierung und im Parlament gar nicht verhindern kann. Soll zum Beispiel eine CDU-Anhängerin Angela Merkels Partei deshalb nicht wählen, weil sie Wolfgang Schäuble für indiskutabelhält? Ebenso gelangen über die Listenplätze Personen in den Bundestag, die vermutlich in keinem Wahlkreis der Welt eine Chance hätten. Auch dies verstärkt natürlich das Gefühl, durch Wahlen nichts ändern zu können – man kann durch den Urnengang ja nicht einmal die von niemandem gewünschten Politiker loswerden.
Ohne Parteien läuft bei uns auch jenseits der Politik buchstäblich nichts, mit dem richtigen Parteibuch dagegen stehen einem alle Türen offen, ob nun in den nach Parteienproporz besetzten Rundfunk- und Fernsehräten oder im Mieterschutz, ob in den Gewerkschaften, im Sport oder sogar in den Amtskirchen:
Präsident des
Deutschen Mieterbundes
ist der frühere SPDBürgermeister von Willich (NRW) Lukas Siebenkotten.
Chef des
DGB
ist der SPD-Mann Michael Sommer, der
IG Metall
und der
IG Chemie-Papier-Keramik
seine Parteifreunde Bertold Huber und Hubertus Schmoldt, und von
ver.di
der Grüne Frank Bsirske.
Generaldirektor des
Deutschen Olympischen Sportbundes
ist der frühere NRW-Umweltminister Michael
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