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Die Dilettanten

Titel: Die Dilettanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Wieczorek
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Gerhard Schick (Grüne) Projektmanager Bertelsmann-Stiftung
3.4. Die schleichende bargeldlose Korruption
    Dass dieses System des Lobbyismus so gut funktioniert, liegt sicherlich nicht an einem angeborenen »schlechten Charakter« unserer Volksvertreter – obwohl wir ja gesehen haben, dass sich nur ein gewisser Menschenschlag durchsetzt: das ist in der Politik eben kaum anders als in der Zunft der Heiratsschwindler, Schlammcatcher oder Paparazzi.
    Vielmehr liegt es – so abgenutzt und nach Universalausrede das klingen mag – »am System«. Der humanistisch gesinnte Bundestagsnovize sieht sich von Anfang an und nicht zu Unrecht in der Situation eines Fastfood-Leiharbeiters, der den gesamten Konzern auf Nouvelle Cuisine umstellen will. Was würde er wohl auf seine bloße Frage hin erleben, ob ein MdB gleichzeitig im Beirat einer Versicherung und im Sozialausschuss oder im Aufsichtsrat eines Pharmariesen und im Gesundheitsausschuss sitzen darf? Hinzu kommt, dass der Hinweis der Fraktionsführung, ohne die Partei säße er gar nicht im Bundestag, zweifellos richtig ist. So wird er also über kurz oder lang Bedenken Bedenken und Gewissen Gewissen sein lassen und seine eigenenDeals machen, sich vielleicht sogar einem Netzwerk, einer Seilschaft oder einem Parteiflügel anschließen. Schon bald jedenfalls werden ihm Kungelei und Kuhhandel nicht mehr als korrupte Verflechtungen zu Lasten des Volkssouveräns, sondern als »notwendige Kompromisse im Dienste der guten Sache« verkommen, wobei die »gute Sache« oft sein eigener Aufstieg ist: Als Fraktionsvorstand, Staatssekretär oder gar Minister kann er ja schließlich viel mehr für das »Gemeinwohl« erreichen, oder? Soll er dieses hehre Ziel jetzt durch die einzige Gegenstimme seiner Fraktion zu Gesetzen zur Legalisierung der Heuschrecken oder der Staatsschnüffelei aufs Spiel setzen? Im günstigen Fall würde man ihn für einen »humanistischen Streber« halten, der sich auf Kosten der anderen profilieren will, im ungünstigen für einen Nestbeschmutzer: Isoliert wäre er so oder so. Aber der einzige altruistische Hering im Haifischbecken der Karrieristen will er jedenfalls nicht sein.
    Und was ist denn schon dabei, die angenehmen Seiten des Politikerlebens zu genießen, zum Beispiel eine »geachtete Persönlichkeit« zu sein, zu Talkshows und Empfängen eingeladen zu werden, Ausstellungen oder Sommerfeste eröffnen zu dürfen? Hatte nicht schon Montesquieu den Drang der Menschen, sich in den Vordergrund zu spielen, als eine Art Urtrieb beschrieben?
    Bereichern will dieser Politiker sich keinesfalls, sein »Auskommen« haben dagegen schon: Allein eine gute Ausbildung für die Kinder verschlingt ein Heidengeld, und was würde es am Bildungssystem ändern, wenn sein Nachwuchs statt eines Elitegymnasiums die Gesamtschule im Problemkiez besuchte? Warum soll die Älteste nicht beim Parteifreund promovieren und der Schwiegermutter nicht durch »Vitamin B« die Wartezeit für die Nierentransplantation verkürzt werden? Würde nicht jeder andere an seiner Stelle genauso handeln?
    Nicht nur Geld verdirbt den Charakter, auch »das Sein bestimmt das Bewusstsein«: Wenn sogar ein Günter Wallraff während seiner kurzen Stippvisite als »Hans Esser« bei
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beängstigende Deformationen der Persönlichkeit bei sich feststellte, warum sollte es einem Politiker da anders gehen? Helmut Schmidts Polemik, »wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen«, erscheint ihm zusehends plausibler. Schon bald ertappt er sich dabei, seine früheren Gesinnungsgenossen als »Gutmenschen«, »Phantasten« oder »Populisten« zu empfinden. Und irgendwann wird das ursprüngliche
Mittel
zum
Zweck
der »Weltverbesserung«, die Politikerlaufbahn zum
Selbstzweck
.
    Zum Glück aber ist unser MdB nur einer von über 600 und folglich auch an der schlimmsten Entscheidung nicht einmal zu 1,7 Promille beteiligt. Sogar Kanzlerin, Minister und Fraktionschefs können sich ja formal korrekt darauf berufen, dass das Hohe Haus die Gesetze hätte ablehnen können. Und alle gemeinsam können dem Bürger erklären, dass er sie ja nicht hätte wählen müssen …

F. Die Tröpfe der Politik
    Streben nach Macht bedeutet für unsere Politiker und ihre Parteien Kampf um Wählerstimmen. Um also beim Bürger besser dazustehen als die Konkurrenz, müssen sie sich mit einigen Abhängigkeiten

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