Die Dilettanten
herumschlagen.
1. Kaum erfunden und schon überholt:
Tina
Spätestens mit dem Zusammenbruch des »alternativlosen« deregulierten Weltfinanzsystems erweist sich das Märchen vom »alternativlosen Sachzwang« als ideologischer Bumerang. »Was ist das eigentlich für ein System«, fragen immer mehr Menschen, »in dem Umweltzerstörung, Rohstofferoberungskriege, Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und eine Verschlimmerung des Arm-Reich-Gefälles unausweichlich sind? Was ist das für eine
freie
Marktwirtschaft, in der es keinerlei
freie
Entscheidung gibt?«
Milliardensubventionen, Rettungsschirme, Notverstaatlichung: Für jeden, der vom marktradikalen Humbug der »Selbstheilungskräfte des Marktes« jemals auch nur ein Wort geglaubt hat, ist die Wirtschaftskrise eine heilsame Lehre – fast scheint die Wirklichkeit noch banaler als von Kapitalismuskritikern behauptet. Der Neoliberalismus erweist sich nicht einmal als eine – wenn auch falsche – Theorie, sondern lediglich als ein Geflecht dümmlicher Vorwände zur globalen Umverteilung von Arm nach Reich.
Nicht zufällig wurde der Ausdruck
Tina
-Prinzip (»There isno alternative«) vom stets satireverdächtigen Soziologen und Attac-Mitbegründer Pierre Bourdieu erfunden, um die teils idiotischen Universalausreden gewisser Politiker lächerlich zu machen. Ebenfalls nicht zufällig war dies die Lieblingsredewendung der allerdings humorfreien »Mutter des Rechtspopulismus« (
Zeit
), der britischen Premierministerin Thatcher.
Viele »Sachzwänge« und Abhängigkeiten unserer Politiker sind
erstens
das Ergebnis früherer Entscheidungen und Taten und
zweitens
nur »alternativlos« für das Erreichen ihrer ureigensten Ziele und der ihrer Klientel. So ist zum Beispiel die Privatisierung von Wohnungen meist durchaus
alternativlos
für das Wohl von Renditejägern, aber gleichzeitig eine Katastrophe für die Mieter. Dann wiederum kann es für den Staat durchaus
alternativlos
werden, sowohl den Bewohnern einen Teil der astronomischen Mieten als auch den Investoren die Renovierung der völlig verwahrlosten Häuser zu bezahlen.
Eine der unverfrorensten Legenden ist der »Sachzwang zum Sozialabbau« infolge eines ebenfalls frei erfundenen staat lichen »Sachzwangs zum Sparen«:
Erstens
ist der ausgeglichene, wenn nicht sogar schuldenfreie Haushalt genauso wenig das »allgemeingültige« oberste Staatsziel, sondern das der Neoliberalen. Sozialstaatler sehen Vollbeschäftigung als bedeutend wichtiger an. Ironischerweise rückte auch Steinbrück angesichts der Finanzkrise im Herbst 2008 unverzüglich von seinem Plan eines schuldenfreien Haushalts ab und schwenkte von der neoliberalmonetaristischen auf die verhasste, von Helmut Schmidt erfolgreich angewandte und von Oskar Lafontaine geforderte keynesianische Finanzpolitik um – Reizwort:
Konjunkturprogramm
. »Es droht eine Neuverschuldung von sieben Milliarden Euro. Der Staatshaushalt ist damit massiv gefährdet«, schnaubte prompt
Welt Online
. Es erstaunt eigentlich immer wieder, dass die urgroßmütterlicheUntertanenweisheit »Schuldenmachen ist unehrenhaft« in einem Volk der »Kreditnehmer« vom Kleinunternehmer über den Hauskäufer bis hin zum Ratenzahler überhaupt noch Gehör findet. Selbst Angela Merkel bedient diese Milchmädchenlogik auf dem Parteitag im November 2008: »Man hätte nur die schwäbische Hausfrau fragen sollen. Sie hätte uns eine ebenso kurze wie richtige Lebensweisheit gesagt, die da lautet: Man kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben.« Dabei wird umgekehrt ein Schuh draus: Gerade dass die Banken das Schuldenmachen erschweren, verschärft die Finanzkrise zusätzlich.
Zweitens
ist allein der Gedanke völlig absurd, eines der reichsten Länder der Erde – Bruttoinlandsprodukt 2007 über 2,4 Billionen Euro – wäre zu arm für eine menschenwürdige Sozialpolitik. Die Finanzmittel sind da, sie sind nur falsch verteilt; und weil der Staat den Superreichen in Form von Steuergeschenken das Geld hinterherwirft, fehlt es ihm natürlich für die Bevölkerung.
Drittens
zeigt der simple Vergleich mit anderen Marktwirtschaften, dass diese massive Umverteilung nach oben keineswegs
alternativlos
ist. Schweden, Dänemark, die Niederlande und Belgien, Finnland, Frankreich und Österreich haben allesamt bedeutend höhere Spitzensteuersätze als unsere 45 Prozent, von der bei uns nicht erhobenen Vermögensteuer ganz zu schweigen: In den USA bringt diese Abgabe 3,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
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