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Die Dirne und der Bischof

Die Dirne und der Bischof

Titel: Die Dirne und der Bischof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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gewesen, ihm zu Diensten zu sein?
    Tief in Gedanken machte sich Elisabeth auf den Heimweg. Den Kopf gesenkt, starrte sie auf ihre Schuhspitzen, die bei jedem Schritt ein wenig unter ihrem Rock hervorlugten, und dachte an die vergangene Nacht und an die Worte, die der Domherr am Morgen mit ihr gewechselt hatte. Fast hätte sie die vier Männer übersehen, die mit ausgreifenden Schritten auf die Stufen zustrebten, die zum Westportal des Doms führten. Elisabeth stoppte abrupt, um sie passieren zu lassen. Sie wandten nicht einmal den Blick. Sicher hatten sie sie gar nicht bemerkt. Sie war nur eine junge Frau, die nicht zu ihren Kreisen gehörte! Elisabeth sah ihnen nach. Drei von ihnen waren sicher noch jung, so, wie sie sich bewegten, und von hohem, schlankem Körperbau. Der vierte trug das lange, kostbare Gewand der Chorherren, war klein und eher rundlich. Er hinkte ein wenig den drei jungen Männern hinterher, die nun die erste Stufe erklommen.
    »Willkommen! Herzlich willkommen«, hörte Elisabeth eine Stimme, die ihr bekannt vorkam. Im offenen Portal waren noch drei Domkapitulare erschienen. Der mittlere, der gesprochen hatte, war ihr Gastgeber gewesen, der Dompropst. Sie hatte ihn bisher nur kurz bei Kerzenschein gesehen. Nun ergriff sie die Gelegenheit, den obersten Herrn des Domkapitels genauer zu betrachten. Er streckte die Hände aus und ging den vier Männern entgegen. Sie tauschten höfliche Nichtigkeiten aus. Zwei der drei jüngeren Männer, die Elisabeth noch immer den Rücken zuwandten, schienen von einer Reise zurückzukehren. Sie waren wie Junker gekleidet, trugen Waffenröcke und Schwerter an ihren Seiten. Ihre Beine steckten in Jagdhosen und staubigen Stiefeln. Der dritte dagegen gehörte zu den Chorherren, seinem langen Gewand nach zu urteilen. Elisabeth verlor das Interesse an den Männern und wandte sich ab. Sie gähnte herzhaft. Wenn sie im Frauenhaus anlangte, würde sie sich noch ein wenig hinlegen.
    Elisabeth hatte gerade einen Schritt getan, als sie wie erstarrt stehen blieb. Diese Stimme! Sie hatte Elisabeth durch ihre nächtlichen Träume verfolgt und ihr auch bei Tag keine Ruhe gelassen. Erst war nur die Stimme aus der Finsternis ihrer verlorenen Erinnerungen aufgetaucht, dann sein Gesicht und seine Gestalt. Doch heute war es kein Traum, kein Nebelfetzen aus längst Vergangenem, der in ihrem Geist auftauchte. Sie konnte seine Stimme hören! Die Worte rauschten an ihrem Ohr vorbei, ohne dass sie ihren Sinn erfasste. Sie hörte nur den Klang, der ihr durch so viele einsame Nächte geholfen hatte.
    War das die Erlösung? Hatte sie sich und ihr altes Leben wiedergefunden?
    Er sprach noch immer, doch Elisabeth war nicht in der Lage, sich umzudrehen, ja überhaupt nur ein Glied ihres Körpers zu bewegen.
    Nun stiegen die Männer zusammen die Stufen hinauf. Gleich würde der Dom sie verschluckt haben. Sie musste sich bewegen und handeln. Jetzt! Ehe der Augenblick vorbei und ihre Chance für immer vorüber war. Doch wie konnte sie zu ihm laufen und hoffen, dass alles wieder so werden könnte, wie es einmal gewesen war? Wie sollte sie dem Mann aus ihrem früheren Leben ohne Scham in die Augen sehen, wenn der Dompropst neben ihm stand und die Dirne der vergangenen Nacht mit Verachtung musterte? Was konnte sie ihm sagen? Verzeih, ich habe heute Nacht den alten päpstlichen Legaten befriedigt und in den vergangenen Monaten unzähligen Männern in ihrer Lust gedient, aber jetzt möchte ich mein altes Leben zurück. Du bist der Schlüssel dazu. Dich habe ich in meinen Träumen gese hen. Also nimm mich mit, und führe mich in das Leben, das das meine war, bevor - ja, bevor was? Wusste er, was geschehen war? Was sie ihres Lebens und ihrer Erinnerung beraubt hatte? Würde er es ihr sagen? Und was dann? Würde das Wissen die Qual mildern oder sie gar noch vergrößern? - Danke, lieber Freund aus besseren Tagen, nun weiß ich, was man mir genommen hat, und kehre mit noch viel größerer Qual ins Frauenhaus zurück, wohin ich nun gehöre. Denn dies ist ein Ort, an dem man stranden, den man aber nicht wieder verlassen kann.
    Die schweren Türen des Portals schlugen zu. Drinnen begann die Orgel zu spielen. Die Stimmen der Chorknaben erhoben sich. Mit gesenktem Kopf und schweren Schritten setzte Elisabeth ihren Weg fort und versuchte sich einzureden, dass ihr Geist ihr nur einen Streich gespielt hatte. Vielleicht war es gar nicht seine Stimme gewesen? Vielleicht hatte sie zu oft von ihm geträumt und an ihrem

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