Die Dirne und der Bischof
Tag der Geburt des Heilands. -Alle, bis auf eine.
Es war noch eine Woche bis zum Fest, als Elisabeth Otilia auf dem Markt traf. Die Ratsherrentochter ließ ihre Geschwister und die Magd ein wenig vorausgehen und kam dann unauffällig neben Elisabeth zu stehen.
»Ich grüße Euch, Otilia«, sagte sie herzlich. »Ich hoffe, Ihr und Eure Familie seid wohlauf so kurz vor den Festtagen.«
»Meine Geschwister und ich schon«, sagte sie düster.
Elisabeth sah sie verwirrt an. »Und Euer Vater? Geht es dem Ratsherrn nicht gut? Ich habe ihn gar nicht mehr gesehen, seit seiner...« Sie brach ab und schlug sich die Hand vor den Mund. »Heilige Jungfrau! Er ist doch zurückgekehrt?«
Otilia schüttelte den Kopf. Tränen glänzten in ihren Augen. »Nein, er ist nicht zurückgekehrt, und ich habe ihn seit dem Tag im August, an dem der Bischof diesen unverzeihlichen Verrat an uns begangen hat, nicht mehr zu Gesicht bekommen.«
»Aber er ist doch noch am Leben, nicht wahr?«, drängte Elisabeth mit einem Anflug von schlechtem Gewissen. Das Schicksal des eingekerkerten Ratsherrn war ihr ganz entfallen. Ein paar Mal hatte sie sich gewundert, dass er das Frauenhaus gar nicht mehr aufsuchte, doch auf den Gedanken, er könne noch immer auf der Festung in einem Kerker sitzen, war sie nicht gekommen.
»Das haben sie uns gesagt. Doch wie lange kann er das noch durchstehen, bei dieser Kälte in dem Loch dort unten?«
»Otilia, wie schrecklich. Ihr habt mein ganzes Mitgefühl. Habt Ihr versucht, ihm Essen und Decken zu bringen? Der Henker lässt es zu, wenn die Familien sich um die Eingesperrten in den Stadttürmen kümmern. Ja, er verlangt es sogar, damit die Stadt die Kosten nicht tragen muss.«
Das junge Mädchen seufzte. »Ich habe es einmal versucht, aber die Wachen waren so schrecklich zu mir. Sie haben rüde Dinge über mich gesagt - die natürlich nicht stimmen!« Sie errötete. »Und dann haben sie mir den Korb abgenommen. Ich denke nicht, dass mein Vater etwas davon zu sehen bekommen hat.«
»Wart Ihr alleine am Tor?«, wollte Elisabeth wissen.
Otilia nickte. »Ja, ich habe die Gelegenheit genutzt, als Margret unterwegs war.«
»Vielleicht hättet Ihr Margret mitnehmen sollen. Ganz alleine habt Ihr auf die Wachen, nun ja, einen leichtfertigen Eindruck gemacht«, sagte Elisabeth behutsam.
»Ja, kann sein, aber Margret wollte nicht mitkommen. Und ich musste es einfach versuchen!«
Elisabeth nickte nachdenklich. »Es muss doch einen anderen Weg geben«, begann sie. Sie dachte an einen Onkel oder einen anderen Ratsherrn, der dem Maintaler vielleicht in Freundschaft verbunden war, doch Otilia strahlte die Dirne an.
»Ja, der Gedanke ist mir gekommen, als ich dich hier entdeckt habe. Bitte, es ist bald Weihnachten. Da soll er nicht frieren und hungern. Kannst du nicht zur Festung hinaufgehen? Du wirst mit den Wachen sicher fertig. Bitte! Du warst schon einmal oben und kennst dich aus.«
Elisabeth hub zu Widerspruch an, doch Otilia schnitt ihr das Wort ab. »Ja, ich weiß, du kannst nicht ohne die Erlaubnis deiner Meisterin gehen, und die will sicher erst wieder Münzen sehen, ehe sie ihre Zustimmung gibt. Aber das ist mir egal, wenn der Korb dieses Mal sein Ziel erreicht. Dafür gebe ich das Geld gerne aus - und ich denke, Vater würde mir zustimmen.«
In diesem Punkt war sich Elisabeth nicht so sicher. Der Ratsherr würde sehr wohl etwas einzuwenden haben, wenn er wüsste, dass seine Tochter mit dem Frauenhaus Geschäfte machte. Auch wenn diese etwas anders gelagert waren als die dort üblichen Aufträge.
»Otilia! Wo bleibst du denn?« Die alte Magd war stehen geblieben und sah sich suchend um. Elisabeth tauchte hinter einen der Marktstände, um nicht entdeckt zu werden. Margret durfte sie nicht erkennen. Das würde sonst ein Geschrei geben!
»Ich melde mich bei dir«, hauchte ihr Otilia zu, dann eilte sie davon.
»Ja, ich bin hier. Ich habe mir nur die... äh... die Fische dort auf der Theke angesehen.«
»Die Fische?« Das Misstrauen in der Stimme der alten Magd war nicht zu überhören. »Seit wann interessierst du dich für tote Fische? Erzähl mir keine Märchen. Wirst den jungen Männern wieder unzüchtige Blicke zugeworfen haben!«
»Wenn du es sagst«, erwiderte Otilia heiter und ließ den Schwall an Ermahnungen ohne Widerrede über sich ergehen.
Elisabeth dachte schon, Otilia hätte sich die Idee doch wieder aus dem Kopf geschlagen, als sie am Tag vor Weihnachten spätnachmittags im Frauenhaus auftauchte.
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