Die Dirne und der Bischof
Frauen setzten sich um den größeren der beiden Tische, aßen heißen Haferbrei und tranken mit Wasser verdünnten, sauren Wein. Sie lachten und scherzten, sodass die Beklemmung, die Elisabeth in der fremden Umgebung empfand, von ihr abfiel. Vielleicht gehörte sie ja hierher? Vielleicht hatte sie ihre Familie schon vor langer Zeit verloren, und dies war nun ihr Zuhause? Sie ließ den Blick über die Gesichter schweifen. Sie waren alle so freundlich - bis auf Marthe. Fast wie eine liebende Familie. Da machte es ihr auch nichts aus, dass alle sie jetzt kurz Lisa nannten, auch wenn ihr Elisabeth irgendwie vertrauter erschien.
»Was ist? Warum schaust du uns so an?«, wollte Anna wissen.
»Es ist so friedlich hier, dass ich fast glauben könnte, heimgekehrt zu sein. Ich danke euch.«
Die Frauen tauschten Blicke und murmelten unverständliche Worte. Nur Jeanne sah ihr in die Augen. In ihrem Blick lag eine Traurigkeit, die Elisabeth nicht verstand. Sicher hatte das Schicksal ihnen allen eine Bürde auferlegt, die sie jedoch überwunden hatten, denn nun lebten sie hier zusammen, hatten es warm, waren satt und geborgen. Was hatte Ester heute Nacht gesagt? Das Haus hieß wie sie, Elisabeth, und war für zehn Frauen gestiftet worden, die hier Kost und Kleidung bekommen sollten. Die hier wie ein Familie zusammenleben konnten!
Die Frauen hatten den Kessel fast geleert, als die Tür aufging und ein Mann in einer verschlissenen Kutte eintrat.
»Guten Morgen und Gottes Segen, Pater Thibauld«, grüßten die Frauen höflich. Anna kicherte. Der Pater war vielleicht um die fünfzig, hatte nur noch spärlich Haar auf dem Kopf, und sein faltiges Gesicht war mager. Er ließ sich neben Jeanne auf die Bank fallen und nahm dankend den Becher, den Gret ihm hinüberschob. Sie füllte ihn nicht aus dem Krug, von dem die Frauen tranken, sondern holte einen anderen, der auf dem Kaminsims stand. Der Pater trank, rülpste und seufzte erleichtert. Er legte Jeanne den Arm um die Taille und rutschte ein Stück näher. Sein Blick schweifte durch die Runde und blieb dann an Elisabeth hängen.
»Ah, sieh an, ein neues Gesicht«, freute er sich. Er deutete eine Verbeugung an. »Ich bin Vikar Thibauld vom Stift Haug«, sagte er. »Und wie ist dein Name, schönes Kind?« Die junge Frau starrte ihn nur mit offenem Mund an.
»Sie heißt Lisa... äh... eigentlich Elisabeth«, half Gret nach.
»Könnte ich, ich meine, würde sie...« Der Geistliche leckte sich die Lippen, ohne den Blick von ihr zu wenden. Elisabeth rutschte ein Stück von ihm weg. Ein Gefühl von Scham breitete sich in ihr aus, während seine Augen sie ungeniert anstarrten. Die anderen Frauen tauschten unbehagliche Blicke. Erleichterung trat in ihre Gesichter, als sich die Tür ein zweites Mal öffnete und die Meisterin einließ.
»Ach, Ihr, Vikar Thibauld«, grüßte sie den Kirchenmann, ohne sich Mühe zu geben, ihre säuerliche Miene zu verbergen. »Was wollt Ihr schon wieder hier?«
»Ach, ein wenig Ruhe und Entspannung, gute Wirtin. Ich habe heute schon drei Seelenmessen gelesen!«
»Das ist Eure Aufgabe«, gab sie mitleidlos zurück.
»Ja, schon, aber es ist nicht einfach, sein Leben Gott zu widmen. Man muss sich zwischendurch auch ein paar Freuden des Gaumens und des Fleisches gönnen. Sonst verlässt einen die Kraft, Gott zu dienen.« Sein begehrlicher Blick kehrte wieder zu Elisabeth zurück.
»Eselswirtin, ist es möglich - nur für ein Stündchen -, den neuen, blonden Engel zu beglücken?«
»Es ist Sonntag!«, schimpfte Else.
Der Vikar wand sich. »Ja, ich weiß, der Herr hat es verboten - oder zumindest der Bischof«, verbesserte er sich. »Wie können wir wissen, was der Herr im Himmel denkt?«
Die Meisterin stemmte die Hände in die Hüften. »In diesem Fall ist es mir wichtiger, was der Bischof denkt oder der Schultheiß, denn der wird mir auf alle FälleÄrger bereiten, wenn ich Euch heute in meinem Haus gegen die Gebote des heiligen Feiertags verstoßen lasse! Was glaubt Ihr wohl, was hier los ist, wenn Ihr Euch auf meinem Lager wälzt und der Henker hereinkommt?«
Der Vikar sah sie flehend an. »Bitte, Frau Wirtin. Ich bin auch bereit, mehr als den üblichen Preis zu bezahlen.« Er kramte in seinem Beutel und hielt ihr zwei Münzen entgegen, die verführerisch glänzten. Der Schein des Metalls schien sich in den Augen der Meisterin widerzuspiegeln. Elses größte Schwäche waren Geld und Geschmeide. Ihre Hand schnellte vor und riss dem Gottesmann die
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