Die Dirne und der Bischof
spät, an Schlaf zu denken.«
Elisabeth fühlte sich nicht müde, dennoch legte sie sich auf das Linnen. Die Decke hing noch draußen zum Trocknen. Was hätte sie sonst in dem großen, trüben Raum machen können, den die kleinen, mit Pergament bespannten Fenster selbst bei Tag kaum erhellten?
Es ist so düster, dass man nicht einmal lesen kann, dachte Elisabeth und wunderte sich über ihren Gedanken. Lesen? Konnte sie das überhaupt? Sie dachte an große Fenster mit bleigefassten Glasscheiben, die grünlich schimmerten, wenn die Sonne hindurchschien. Sie sah ein dickes, in Leder gebundenes Buch, doch als sie das Bild fassen und ihr Gedächtnis zwingen wollte, das dazugehörige Zimmer, ja das ganze Haus freizugeben, verschwand alles im Nebel.
Sie musste wohl doch eingeschlafen sein, denn ein plötzlicher Lärm ließ Elisabeth hochfahren. Die meisten anderen Frauen waren schon wach. Öllampen brannten nun in ihren Haltern an den Wänden, obwohl von draußen noch ein Rest an Tageslicht durch die Fenster schimmerte. Elisabeth sah sich verwundert um. Eine seltsame Geschäftigkeit vibrierte in dem einen großen Raum des Frauenhauses, der durch zwei Wandschirme aus Weidengeflecht notdürftig unterteilt werden konnte. Nun waren sie beide an die Wand zurückgeschoben, sodass Elisabeth den ganzen Raum überblicken konnte. Sie zählte drei Betten und zwei Strohmatratzen in der hinteren Hälfte, rechts und links der Tür standen die beiden Tische mit je zwei Bänken und ein paar Hockern. Links neben der Tür war die Feuerstelle, in der Marthe gerade die Glut schürte. Anna schob Krüge mit Gewürzwein und Met heran, um sie zu wärmen. Ester zerschnitt einen riesigen Brotlaib und warf die Stücke in einen Korb. Mara saß auf einem der Betten, auf dem prall gefüllte Kissen lagen, und ließ sich von Jeanne ihr Mieder schnüren. Im Gegensatz zum vorherigen Tag trug sie nun ein weit ausgeschnittenes Hemd, das ihren Busen mehr freiließ als ihn zu bedecken, und auch ihre Arme waren fast nackt! Auch die anderen trugen nun Gewänder aus farbigen Stoffen, die sicher nicht züchtig zu nennen waren. Gret hatte ihren Rock so hoch geschürzt, dass man ihre Waden sehen konnte, Annas Ausschnitt ließ gar die Brustwarzen sehen, sobald sie sich vorbeugte. Außerdem hatten sie sich die Lippen rot gefärbt. Maras Augen waren von Kohle schwarz umrandet, und Marthe hatte sich das Gesicht weiß gepudert, die Wangen dafür mit einer rötlichen Substanz bemalt. Selbst die Meisterin hatte sich einen auffällig bunten Rock übergezogen, sich eng geschnürt und ihr Gesicht geschminkt. Eine schwere Kette hing auf ihren schlaffen Busen herab, goldene Armreife klingelten bei je der Bewegung. Sie stand hoch aufgerichtet mitten im Raum und ließ ihren wachsamen Blick über ihre Schützlinge schweifen.
Reglos blieb Elisabeth in ihrem Bett sitzen, das ein wenig abseits an der Wand stand, und starrte die Frauen an, die sich so verändert hatten.
Der Lärm, der sie geweckt hatte, war von der Haustür gekommen, gegen die jemand gehämmert hatte und die nun so schwungvoll geöffnet wurde, dass sie mit einem Schlag gegen die Wand krachte. Drei Männer traten ein und grüßten die Frauen laut und überschwänglich. Sie schienen ausgelassener Stimmung. Vermutlich hatten sie bereits Wein getrunken. Der eine herzte Marthe, die ihm ein süßes Lächeln schenkte und plötzlich wunderschön aussah, nun, da sie die verdrießliche Miene abgelegt hatte. Der zweite legte seine Arme um Annas üppige Mitte und zog sie an sich. Anna verlor das Gleichgewicht und fiel nach hinten gegen seine Brust. Der Krug entglitt ihren Händen und zerschellte auf dem Boden. Roter Wein floss in die Binsen. Die Männer lachten, Anna fluchte und warf der Meisterin einen ängstlichen Blick zu. Deren Stirn hatte sich umwölkt, ihre Stimme klang jedoch betont freundlich.
»Nun, nun, meine Herrn, nicht so stürmisch. Setzt Euch erst einmal, und trinkt etwas. Das Brot ist ganz frisch. Wollt Ihr auch Käse und Speck? Ein kleines Würfelspiel vielleicht?«
Die Männer setzten sich auf die Bänke und ließen sich Wein ausschenken. Gret reichte ihnen Käse und Speck. Jeanne brachte zwei Lederbecher mit Knochenwürfeln und setzte sich zu ihnen. Die Besucher waren alle drei im besten Mannesalter und vornehm gekleidet. Sicher keine kleinen Handwerker aus einer der Vorstädte. Diese Herren hier besaßen vermutlich befestigte Höfe, von denen manche mit Turm und Tor eher kleinen Burgen als Stadthäusern
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