Die Dirne und der Bischof
»Und nun mach, dass du fortkommst. Am besten, du bleibst in deiner Pleichacher Vorstadt bei deinesgleichen, wo du hingehörst!«
Blind von Tränen rannte Elisabeth hinaus und stieß fast mit Jeanne zusammen, die ihr entgegentrat. Als sie den Zustand der Freundin bemerkte, griff sie nach ihrer Hand und zog sie mit sich fort. Fast vergaßen sie, dass sie Eier und Milch mitbringen sollten. Zum Glück fiel es Jeanne gerade noch ein, bevor sie das Tor passierten. So kehrten sie also noch einmal um, füllten den Korb und eilten dann zum Frauenhaus zurück.
Wie Jeanne es befürchtet hatte, erwartete die Meisterin sie bereits, und ihre Stimmung stand auf Sturm. »Könnt ihr mir verraten, wie ihr es schafft, einen ganzen Nachmittag zu brauchen, um ein paar Eier und Milch zu besorgen? Sprecht, es interessiert mich
brennend!«
Die beiden Frauen tauschten einen Blick und sahen dann zu Boden.
»Verzeiht, Meisterin«, sagte Jeanne leise, »wir wurden auf der Gasse zweimal angehalten - von Gästen, die uns in eine Unterhaltung zogen, und da wollten wir nicht unhöflich sein. Das wäre dem Frauenhaus nicht zuträglich. Schließlich wollt Ihr, dass sie gut von uns reden und bald wieder hier einkehren.«
Elisabeth sagte gar nichts. Zu sehr fürchtete sie, die Wirtin könne ihre Lügen durchschauen. Jeannes Geschichte hörte sich glaubwürdig an, dennoch runzelte Else die Stirn.
»Warum nur habe ich das Gefühl, du tischst mir eine Lügengeschichte auf?«, brummte sie, trat einen Schritt vor und schnüffelte. »Wart ihr in einer Weinstube?«
Die beiden Frauen schüttelten einmütig den Kopf.
»Nun, das wenigstens scheint zu stimmen. Ich kann keinen Weindunst riechen.« Ohne Vorwarnung schlug sie beide Frauen einmal hart ins Gesicht.
»Dennoch dulde ich kein Trödeln! So, und damit ist die Sache vergessen. Bringt die Eier in mein Haus, und stellt die Milch in der Grube kühl.«
Sie drehte sich um und ging davon. Die Frauen rieben sich die schmerzenden Wangen.
»Es hätte schlimmer kommen können!«, seufzte Jeanne. Sie brachten die Eier in die Küche der Wirtin.
»Und? Hast du was erfahren?«, drängte die Französin ihre Freundin leise. Elisabeth schüttelte den Kopf.
»Sie hat sich geweigert, mich zu empfangen. Und dann kam auch noch ihr Sohn, verriet der Magd, dass ich eine Dirne bin, und drohte mir mit dem Schultheiß, falls ich jemals wieder versuchen sollte, ein Mitglied der Familie anzusprechen.«
»Kein Wunder, dass du außer dir warst, als du aus dem Hof stürmtest«, sagte Jeanne voller Mitleid und streichelte ihren Arm. »Aber eines kann ich dir sagen: Du bist keine Tochter des Hauses!«
»Wie kannst du dir da sicher sein?«, begehrte Elisabeth auf.
»Ich war nicht ganz müßig. Während du im Haus des Ratsherrn versucht hast, etwas zu erfahren, hab ich die Knechte ausgehorcht. Ich fand einen, der schon über dreißig Jahre bei der Familie ist, und ich fragte ihn nach Kindern, die plötzlich gestorben oder verschwunden seien.«
»Einfach so?«, wunderte sich Elisabeth.
»Nun ja, eine kleine Lügengeschichte habe ich ihm schon aufgetischt. Tatsache ist jedenfalls, dass es kein unerklärliches Verschwinden von Kindern gab. Die Hausfrau hat diesen Sohn Kraft vor zweiundzwanzig Jahren geboren, und sie hat noch zwei Töchter von vierzehn und neun Jahren. Zwischen den Geburten der Mädchen sind zwei weitere Kinder in frühem Alter gestorben. Danach war sie wohl aus dem gebärfähigen Alter raus, und es kam kein Kind mehr. Der letzte Todesfall ist jedenfalls elf Jahre her!«
Traurigkeit legte sich über Elisabeths Miene. »Dann hast du wohl recht, und meine Vermutung und meine Hoffnung waren falsch.«
Sie traten zur Milchgrube, hoben den hölzernen Deckel an und stellten die beiden Krüge ins kühle Erdreich.
»Ja, schon«, fügte Jeanne nachdenklich hinzu. »Doch das macht die Reaktion von Mutter und Sohn erst recht unerklärlich.«
Elisabeth nickte müde. »Ja, aber so wie es aussieht, werden wir das Geheimnis nicht lüften.«
»Vielleicht kehrt deine Erinnerung irgendwann zurück«, tröstete Jeanne sie, als sie zum Frauenhaus zurückgingen.
»Ja, vielleicht«, sagte Elisabeth, doch es lag keine Hoffnung in ihrer Stimme.
Kapitel 10
Oh, Ratsherr Maintaler, welch Freude, Euch wieder einmal begrüßen zu dürfen!« Else überschlug sich förmlich und eilte mit offenen Armen auf den hohen Herrn zu. »Wie geht es der Familie.... äh, ich meine... den Kindern?« Zu spät fiel ihr auf, dass diese Frage
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