Die Doppelgängerin
Knie.
„Vielleicht bekomme ich im Supermarkt
ein Glas Wasser für dich.“
„Laß nur, Gaby! Es geht schon wieder.“
Sie blickte auf. Im selben Moment schoß
ihr das Blut ins Gesicht. Die graugrünen Augen leuchteten, als wären
Scheinwerfer dahinter angeknipst.
„Pfote, du ahnst ja nicht, was dieser...
wie heißt es... Kassiber bedeutet!“
„Vielleicht ist er gar nicht echt — das
Ganze nur ein sehr gekonnter Ulk!“
„Nein, nein!“
„Woher willst du das wissen?“
Inge stand auf, klopfte ihren
Hosenboden sauber und rieb dann die Handflächen aneinander.
„Pfote, das Schicksal hat ein Einsehen.
18 Jahre hat es gedauert. Aber jetzt winkt meinem Vati Gerechtigkeit. Das Leben
verläuft manchmal in Bahnen — einfach irre! Mit dem bloßen Auge kann man da gar
nicht folgen.“
„Es wäre wie ein Lottogewinn“, nickte
Gaby. „Vorausgesetzt — es stimmt. Aber... „
„Es stimmt!“
„Aber selbst dann müßte man die
Briefmarken dem Eigentümer zurückgeben. Freilich — zehn Prozent Belohnung
könntet ihr beanspruchen. Das wären 40 000 Mark. Dazu... O je! Fast hätte ich
gesagt: Herzlichen Glückwunsch! — als wäre die Sache Wirklichkeit.“
„Die Sache ist Wirklichkeit, Gaby!“
Flammen schienen in Inges Wangen zu lodern. „Und nicht 40 000, sondern 400 000
kriegt mein Vati — endlich! Denn... Ich habe dir doch erzählt, daß Hartmut A.,
der Geizknochen von Onkel, Briefmarken sammelt. Und nicht die billigsten. Eins
weiß ich genau: er besitzt die beiden ,Mauritius von 1898 auf einem Kuvert’.
Ja, er!“
„Gibt es die denn zweimal?“ staunte
Gaby.
„Nein! Nur einmal - jedenfalls so
aufgeklebt, in der Form! Verstehst du? Er hat sie besessen! Jetzt
befinden sie sich hinter der Kachel im Badezimmer von Nr. 17 der Pension
Waberina. Ihm, diesem Mistkerl, wurden die Marken gestohlen.“
„Und ihr habt nichts davon gewußt?
Stand denn nichts in der Zeitung?“
„Nichts! Aber es müssen diese Marken
sein. Und... ja, natürlich. Sagte ich nicht, daß bei ihm vor drei Jahren
eingebrochen wurde! Es stimmt alles. Es paßt zusammen. Ihm — oh, tut das
gut! — wurden die Marken gestohlen. Aber das hat er verschwiegen. In die Presse
kam jedenfalls nichts. Und daß die Polizei so eine Meldung zurückhält, kann ich
mir nicht vorstellen.“
„Auf keinen Fall“, nickte Gaby. Als
Tochter eines Kriminalkommissars wußte sie Bescheid. „Das wird schon deshalb veröffentlicht,
damit kein argloser Sammler Diebesgut kauft.“
„Siehst du!“
Inge hielt den Zettel zwischen
gefalteten Händen und begann von einem Fuß auf den anderen zu hüpfen.
Ein älterer Herr, der vorbeiging,
sagte: „Einen so netten Liebesbrief möchte ich auch mal bekommen.“
Die Mädchen lachten.
Als er außer Hörweite war, sagte Gaby: „Vor
50 Jahren hat er bestimmt nette Liebesbriefe gekriegt. Kannst mal sehen, wie
vergeßlich Männer sind.“
Inge drückte den Kassiber an ihr Herz.
Ihr Gesicht nahm einen verzückten Ausdruck an.
„Komm wieder auf den Teppich!“ sagte
Gaby. „Da steht sich’s bequemer. Weshalb — meinst du — hat Hartmut A. den
Diebstahl verschwiegen?“
„Ich könnte mir denken: aus verklemmtem
Stolz. Aus Starrsinn. Borniertheit ( Engstirnigkeit) ! Unter den Philatelisten
wollte er weiterhin als der Besitzer der beiden Supermarken gelten. Denn daß
der neue Besitzer — wenn er die Marken unter der Hand als Diebesgut kauft — nicht
damit rumprotzen kann, ist wohl klar.“
„Sonnenklar. Trotzdem ist mir diese Art
Stolz unbegreiflich.“
„Du würdest auch nicht deinen Bruder
betrügen. Gaby, was mache ich nur? Meine Eltern will ich vorläufig nicht
hineinziehen. Die sind ängstlich und übervorsichtig. Erst wenn ich die Marken
habe, weihe ich sie ein. Aber — allein in diese Pension... Das getraue ich mir
nicht.“
„Sei unbesorgt. Für alles, was Mut,
Unternehmungsgeist und Findigkeit erfordert, habe ich einen Spezialisten namens...“
„...Tarzan“, fiel Inge ihr lachend ins
Wort.
„Richtig! Und im übrigen könnte das ein
Fall werden für den TKKG.“
Inge seufzte erleichtert. „Du, heute
ist der 15.! Wir haben nur noch fünf Tage Zeit. Dann wird dieser Edwin
entlassen.“
Gaby sah auf ihre Armbanduhr. „Die
Arbeitsstunde im Internat ist gleich zu Ende. Wir sollten keine Zeit verlieren,
sondern Tarzan benachrichtigen — und überhaupt: am besten, wir trommeln den
ganzen TKKG zusammen.“
„Da trommele ich mit“, sagte eine
Stimme neben ihnen.
„Hallo,
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