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Die Doppelgängerin

Die Doppelgängerin

Titel: Die Doppelgängerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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Giomo,
Signore!’ (Guten Tag, mein Herr!) Aber soviel versteht man, wenn man
nicht ganz plemplem, meschugge, deppert, hirnrissig ist!“
    „Das habe ich verstanden.“ Ottmar
feixte.
    Toni nahm den Hörer ab, schob den
Finger in die Wählscheibe, las die Ziffern von seinem Zettel ab und drehte.
    Als er fertig war, horchte er.
    Es knackte in der Leitung, als müßte
sie erst noch repariert werden. Das Knacken verstummte. Der Draht säuselte.
Dann war die Verbindung hergestellt.
    Eine rauchige Frauenstimme sagte: „Sono
le diciotto meno cinque.“ (Es ist fünf Minuten vor 18 Uhr.)
    „Alles klar, Signora (meine Dame)“, sagte Toni zu der Tonbandstimme. „Weiter so, bitte! Tagelang! Jede Minute
interessiert uns die italienische Zeit, hahaha! Nicht aufhören, also!“
    Er legte den Hörer neben den Apparat.
    Die beiden Übeltäter sahen sich an.
    „Niemand“, sagte Ottmar grinsend, „kann
dem lieben Fräulein Dettl verbieten, tagelang der römischen Zeitansage zu
lauschen — obschon das recht teuer wird, wie?“
    „Dein Alter hat über den Daumen
kalkuliert: da kommen einige Tausender zusammen, bis die Dettl aus dem
Krankenhaus zurück ist.“
    „Teure Telefonrechnung.“
    „Für nichts!“
    „Scheint ein typischer Racheakt der
lieben Bärbel Zonker zu sein, von der wir ja wissen, wie gespannt ihr
Verhältnis zu der Dettl war — und nun wieder ist.“
    „Die arme Bärbel“, grinste Toni. „Sie
wirkt so lieb.“
    „Wie man sich doch täuschen kann!“
    Aus dem Hörer drang die rauchige
Frauenstimme. Sie verkündete, es sei jetzt eine Minute vor sechs. Aber das
interessierte die beiden Halunken einen Dreck. Sie hatten anderes zu tun.
    Sorgfältig entfernten sie mit Messer
und Schraubenzieher Kitt und Glasreste aus dem Fensterrahmen. Der Abfall
landete in einer Plastiktüte.
    Sie kletterten ins Freie, schlossen den
Fensterrahmen und riegelten ihn fest. Die mitgebrachte Scheibe wurde eingepaßt.
Während Toni sie festhielt, strich Ottmar den Fensterkitt ins Geviert. Er
stellte sich geschickt an und hinterließ keine verräterischen Spuren.

    Die Scheibe saß fest. Unten am Rahmen
drückte Toni ein kleines Papierröllchen in den Kitt.
     „Der Kitt ist natürlich noch frisch.
Das braucht seine Zeit, bis der hart wird“, sagte Ottmar.
    Über dem Röllchen strich Toni den Kitt
glatt.
    Aus der Farbtube preßte er winzige
Mengen auf seinen Zeigefinger. Damit bestrich er den Kitt. Als er fertig war,
sah man nicht mehr, daß es sich um frischen Kitt handelte.
    „Aber die Farbe ist zu sauber“,
nörgelte Ottmar.
    Vom Fensterbrett kehrte er sich Staub
auf den Handteller. Damit bestäubte er die Farbe.
    „Jetzt stimmt’s!“
    „Sieht nicht aus wie neu, sondern wie
gehabt.“
    Grinsend klopften sie sich gegenseitig
auf die Schultern. Dann räumten sie ihre Werkzeuge zusammen. Auch die alte
Scheibe vergaßen sie nicht.
    Auf dem Rückweg zum Motorrad wurden sie
von niemandem bemerkt.
    In dem kleinen Backsteinhaus der
Biologielehrerin Dettl verkündete die Tonbandstimme einer Römerin unentwegt
italienische Zeit.
    „Wir sollten mal wieder zum Briefkasten
fahren“, rief Toni seinem Komplizen ins Ohr, als sie stadtwärts fuhren. „Könnte
ja sein, der Strickleitertyp hat gezahlt.“
    „Gute Idee!“
    Wenig später fischten sie den Umschlag
mit dem Lösegeld hinter dem Briefkasten hervor.
    Auch dabei achteten sie darauf, daß sie
nicht beobachtet wurden.
    „Zwei Fünfziger. Als wüßte der Typ, daß
wir zu zweit sind“, lachte Toni. „Wir brauchen nicht mal zu wechseln.“
    „Klasse.“ Ottmar steckte seinen Anteil
ein. „Aber wenn der sich einbildet, daß er deshalb seine Strickleiter
zurückkriegt, hat er sich geschnitten, wie?“
    Toni nickte.
    Denn Klößchens Strickleiter, gut
erhalten — abgesehen von einer dünngeschabten Stelle zwischen siebter und
achter Sprosse — war längst auf dem Müll gelandet.
     
    *
     
    Die laue Luft des Spätnachmittags lag
über dem Internatsgelände. In den Klassenräumen sehnten die Schüler das Ende
der Arbeitsstunde herbei.
    Klößchen brütete über seinen Matheaufgaben,
verstand nur Bahnhof und ließ sich den logischen Vorgang von Tarzan zum dritten
Mal erklären.
    „Himmel, ich pack’s immer noch nicht.
Vielleicht liegt das an meinem furchtbaren Hunger. Mir knurrt der Magen.“
    „Möglich ist alles“, seufzte Tarzan. „Bei
andern sitzt das Denkvermögen im Gehirn, bei dir vermutlich im Magen. Und wo
andere Gehirnzellen haben, rascheln bei dir

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