Die Dornen der Rose (German Edition)
Liebespaar gewesen waren, hatten sie mit vier Jahren zusammen auch nackt im Fischteich von Voisemont geplanscht.
Jean-Paul zählte, während er die goldene Taschenuhr im Auge behielt, die er von seinem Vater bekommen hatte.
»Damit kannst du mich nicht beeindrucken, und du bist auch kein Arzt.« Sie lehnte den Kopf nach hinten an die Wand und zog die Knie fest an sich, damit sie nicht zur Seite kippen konnte. »Ich werde morgen losgehen und sehen, was ich tun kann. Unmöglich ist es nicht. Es gibt zu jeder Tür einen Schlüssel. Ich werde den Schlüssel zu diesem Gefängnis finden. Wäre mir nicht die ganze Zeit schlecht, würde ich es schon heute tun.«
Sie ließ es zu, dass Jean-Paul seinen Handrücken auf ihre Stirn legte. »Du hast kein Fieber«, sagte er.
»Danke. Vielleicht kannst du mir ja eine Auflistung der Krankheiten ersparen, die ich nicht habe. Lepra. Gicht. Pocken. Ich merke nämlich, dass mich das gerade nicht aufmuntert.«
Er runzelte die Stirn und wollte ihre Zunge sehen. Dann hielt er eine Hand vor ihr Gesicht und bedeckte jeweils kurz nacheinander ihre Augen. »Hast du angefangen, Opium zu nehmen? Das tut dir nicht gut. Das weißt du.«
»Warum wollen alle wissen, ob ich Opium nehme? Ich habe keine Zeit, mir den Verstand mit so etwas zu vernebeln …«
»Deine Pupillen sind geweitet. Du hast irgendetwas eingenommen. Wächst im Garten hinter dem Haus immer noch Fingerhut?«
»In Massen. Und ja, ich weiß, dass er giftig ist. Aber ich grase nicht wie eine Ziege im Garten, deshalb spielt es keine Rolle, ob im Garten Fingerhut wächst oder nicht.« Sie schob ihn weg. »Wenn du mich davon überzeugen willst, dass ich zu krank bin, um zum Gefängnis zu gehen, wird dir das nicht gelingen. Morgen früh werde ich zu Guillaume gehen und mir die Mauern und Gitterstäbe dieses Hauses ansehen.«
»Wäre Guillaume hier, würde er dir sagen, dass du nicht hingehen sollst.«
»Auf ihn würde ich auch nicht hören.«
»Dann hör zumindest auf den gesunden Menschenverstand.« Jean-Paul war mit ihrer Untersuchung fertig. Er warf seinen Hut zur Seite, knöpfte seine Weste auf und ließ sich in einen Sessel neben dem für sie hergerichteten Bett fallen. Die Polsterung des Sessels quoll überall hervor, und man hatte eine Decke über ihn geworfen, um das zu verbergen. Als Fußschemel diente eine kleine Kiste. »Victor wird dort sein und auf dich warten.«
»Er kann nicht wissen, in welches Gefängnis Guillaume gebracht worden ist. Noch nicht. Die Papiere werden dem Tribunal erst morgen vorliegen. Morgen Nachmittag, denke ich.«
»Das vermutest du nur.«
»Manchmal sind es sehr begründete Vermutungen.«
»Und manchmal stellt man auch dumme Mutmaßungen an. Leg dich hin, ehe du ohnmächtig wirst.«
Sie würde sich erst hinlegen, wenn sie Jean-Paul von ihrem Vorhaben überzeugt hatte.
Das Bett, auf dem sie hockte, bestand aus einem Türflügel, den man über Kisten und Bänke gelegt und dicht an die Wand geschoben hatte. Gepolstert war das Ganze mit einer dicken Schicht Heu, über das man eine peinlich saubere, raue Decke gebreitet hatte. Es war recht bequem und roch wunderbar. Sie hatte schon an schlimmeren Orten geschlafen. Das Heu, das hie und da pikte, beachtete sie gar nicht.
Die Eule – ihr Name war Justine – hatte sie zu einem der sichersten Unterschlüpfe von La Flèche gebracht – einem Unterschlupf, der größten Notlagen vorbehalten war. In das Versteck gelangte man über eine Leiter im Pferdestall des angesagtesten Freudenhauses von Paris. Im raffinierten Durcheinander des Dachbodens war das geheime Nest versteckt. Zwischen ausrangierten Möbelstücken waren Kisten, alte Truhen und große Vorratsfässer an den Wänden aufgetürmt. Eigentlich sah der Abstellraum eines berüchtigten Bordells genau wie jeder Dachboden eines bürgerlichen Hauses aus.
Justine hatte nur zehn Minuten gebraucht, um schnell und gewandt das Türblatt herzurichten, Heu für ein weiches Bett aus dem Stall nach oben zu tragen, ein Tuch über eine Truhe zu werfen, damit man sie als Tisch benutzen konnte, und den verschlissenen Sessel unter einer Decke zu verstecken.
So sah ein Unterschlupf von La Flèche aus. Alles geheim, raffiniert und verborgen. Man brauchte das Türblatt nur wieder an die Wand zu lehnen, das Heu zu verstreuen und die Decken zu falten, dann würde es keinen Hinweis mehr geben, dass jemand hier gewesen war.
Adrian hatte sich am anderen Ende des Dachbodens vor dem Fenster postiert. So hatte er den
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