Die Dornen der Rose (German Edition)
bevor sie uns wieder zählen?
Als der Wärter fertig war, ging er zum nächsten Raum, um auch dort die Insassen zu zählen. Im anderen Raum waren Frauen untergebracht, zu denen auch einige Nonnen gehörten. Er hatte sie über den Gang gehen sehen.
Galba würde derjenige sein, der seinem Vater mitteilte, dass sein jüngster Sohn auf dem Schafott in Frankreich den Tod gefunden hatte. Das würde dem Alten ein Dorn im Auge sein. Ein Markham starb nicht durch eine öffentliche Hinrichtung – nicht einmal ein nichtsnutziger Sohn. Am Ende hatte er nun doch das Wappen der Markhams beschmutzt, wie es sein Vater immer vorausgesagt hatte.
Vielleicht würde er diesen Gedanken mit auf die Guillotine nehmen, um sich in der letzten Minute daran zu erwärmen, damit er am Ende nicht doch zu zittern anfing.
Er würde seine letzten Minuten nicht mit Gedanken an einen verbitterten alten Mann verschwenden. Er würde an Maggie denken.
Er schluckte. Vor Angst hatte er einen schlechten Geschmack im trockenen Mund. Auf dem Weg nach drinnen hatte er einen Brunnen im Hof des Klosters gesehen. Wenn sie die Männer das nächste Mal nach draußen ließen, würde er daraus trinken.
Er würde sich nicht so eingesperrt vorkommen, wenn er freien Himmel über sich hatte.
Seit ein paar Minuten spürte er, dass jemand ihn beobachtete. Ein Priester, angetan mit einer schwarzen Soutane, kam in seine Richtung. Er ging gebückt, als hätte er Schmerzen, und blieb immer wieder stehen, um sich auszuruhen und mit dem einen oder anderen zu reden. Es war wohl einer jener Geistlichen, die nicht auf die Republik hatten schwören wollen. Davon gab es nicht mehr viele in Paris. Die Guillotine hielt reiche Ernte unter ihnen.
»Ein Neuankömmling.« Es war die klare Stimme eines gebildeten Parisers. »Bitte nicht aufstehen. Ich werde mich zu dir setzen, wenn es dir nichts ausmacht, mein Sohn. Stühle sind hier Mangelware, deshalb muss ich mit dem Boden vorliebnehmen.«
Die Hand, die sich an ihn klammerte, um sich auf Doyles Schulter zu stützen, war erstaunlich kräftig. Doch mit den Beinen des Mannes stimmte irgendetwas nicht, und der Priester wog fast nichts – er bestand nur aus zarten Knochen und dem zähen, ledrigen Fleisch alter Menschen.
Doyle streckte ihm die Hände entgegen und fasste nach den Unterarmen des Mannes, um ihm beim Hinsetzen behilflich zu sein. Die Soutane war am Saum eingerissen, bestand aber aus schwerer, schwarzer Seide. Ein Priester von Adel also.
»Vater.« Doyle ließ sich ebenfalls wieder zurück an die Wand sinken.
Der Priester holte drei- oder viermal mühsam Luft, ehe er zu sprechen anhob. Der Mann litt Schmerzen, das sah man ihm an. In ihm war nicht mehr viel Leben. Kaum genug, dass es der Republik der Mühe wert sein sollte, ihn zu töten. Vielleicht hoffte man ja, dass er im Gefängnis sein Leben aushauchte. »Ja«, sagte der Priester. »Danke.« Wieder holte er Luft. »Wie heißt du, mein Sohn?«
»Guillaume, mon Père . Guillaume LeBreton.«
»An deiner Stimme erkenne ich, dass du weit von zu Hause weg bist, Guillaume LeBreton. Ich bin es gewohnt, Briefe für diejenigen zu schreiben, die dessen bedürfen. Ich werde versuchen, auch für dich einen zu senden. Auch bis nach England, wenn es dich tröstet.«
»Es gibt dort niemanden, dem ich einen Brief schicken könnte. Keiner erwartet meine Rückkehr.«
Der Priester berührte seinen Ärmel mit dünnen, knochigen Fingern, wie man sie von Vogelscheuchen kannte. »Dann sorgt sich also niemand dort um dich. Das ist zwar ein schwacher Trost, aber er ist zumindest echt. Ich bin Vater Jérôme, Priester von Saint-Sulpice, der für ein vergeudetes Leben mit einem unangenehmen Ende bezahlt.« Unter dem Arm hatte er eine schwarze Schachtel. Als er sie sich auf den Schoß legte, sah Doyle, dass der Deckel mit schwarzen und weißen Quadraten bedeckt war. Es war kein Buch, sondern ein Schachbrett. »Ich habe zum Schluss festgestellt, dass ich doch ein Gewissen besitze. Das ist wirklich ein höchst unbequemes Requisit. Und du, mein Sohn? Warum bist du hier?«
»Durch einen Irrtum.«
»Wir sind hier fünfzig Irrtümer.« Das Kichern des Priesters übertönte das Murmeln und Husten der anderen Männer. »Na ja, vielleicht bis auf ein paar wenige unserer kriminellen Brüder, die ein paar kleinere Unzulänglichkeiten in ihrer Ehrlichkeit eingestehen. Wir haben hier ein paar Diebe, ein paar Huren und so einen armen Fälscher, der dumm genug war, politische Schriften zu drucken, als
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