Die Dornen der Rose (German Edition)
brachte, würde man später sehen müssen.
Was sonst noch? Vier hoch oben eingelassene Fenster, die mit Gitterstäben gesichert waren. Allein der Anblick nahm ihm den Mut, sein Glück dort zu versuchen. Im Kopf zeichnete er einen Lageplan. Durch eines dieser Fenster gelangte man in den Klostergarten, wo man auf vier Meter hohe, eisenbewehrte Mauern stieß. Und auf der anderen Seite befanden sich Wachposten. Jeder Plan, aus dem Kloster zu fliehen, wollte gründlich durchdacht sein.
Er wischte sich über den Mund. Sein Bart war so rau wie ein Stoppelfeld. Die künstliche Narbe würde bald anfangen, sich zu lösen, wenn er weiter so schwitzte. Er hatte drei Ersatznarben bei sich. Vielleicht blieb er ja lange genug am Leben, um sie noch zu brauchen.
Er wünschte, er hätte mehr Zeit mit Maggie gehabt, und wenn es auch nur ein Tag gewesen wäre. Irgendetwas stimmte mit ihr nicht, und er hatte sie allein gelassen –
Denk nicht darüber nach.
Er schloss die Augen und spürte den Raum, der ihn umschloss. Vierhundert Jahre lang hatten Nonnen hier gegessen, Nadelarbeiten ausgeführt, Bücher geführt, Äpfel geschält. Eigentlich hätten die Wände von ihren Gebeten durchdrungen sein müssen. Die Frömmigkeit musste diese Mauern fingerdick bedecken.
Doch alles, was hier einst gewesen sein mochte, war fort. Zu viele Männer hatten genau hier, wo er saß, auf ihren Tod gewartet. Die Mauern strahlten Trostlosigkeit aus. Die Luft legte sich schwer auf seine Brust, als hätten die Toten sie geatmet.
Er nahm den Hut ab und ließ den Kopf nach hinten an die Wand sinken. Sein Haar war schweißnass, ebenso wie sein Hemd unter der Weste. Angstschweiß. Er war daran gewöhnt, schmutzig zu sein, wenn ein Auftrag es erforderte, aber jetzt fühlte er sich schmierig und klamm.
Für einen Spion war es eine elende Art zu sterben – nur weil ein eifersüchtiger, kleiner Franzose die Familienehre schützen wollte.
Maggie konnte selber auf sich aufpassen, aber nicht, wenn sie krank war. Ihre Augen waren seltsam gewesen, die Pupillen ganz geweitet. Irgendetwas stimmte nicht. Stimmte ganz und gar nicht. Er musste hier raus. Er musste zu Maggie. Er musste …
Vergiss es. Vergiss es, bis du dich wirklich damit befassen kannst . Carruthers würde sich um Maggie kümmern. Das würde sie für ihn tun. In der Hinsicht konnte er sich auf sie verlassen.
Draußen auf dem Gang setzte ein allgemeines Geschlurfe ein. Noch mehr Männer kamen in den Raum, dreiundzwanzig Männer insgesamt. Sie setzten sich inmitten ihrer Habseligkeiten auf die Matten, lehnten sich an die Wände oder gingen auf und ab, wobei sie immer wieder über Sachen hinwegsteigen mussten – alle redeten, stanken, husteten, atmeten die Luft der anderen ein, und ihre Leiber erwärmten die stickige Luft noch mehr.
Keiner kam in seine Nähe, keiner sah ihn direkt an. Keiner blieb stehen, um sich mit ihm zu unterhalten. Sie wussten, wie man neue Gefangene behandelte. Sie ließen einen allein, damit man die Zeit hatte, sich mit der Situation abzufinden.
Er brauchte diese Zeit.
Vorsichtig legte er seinen Hut neben sich ab und achtete darauf, gleichmäßig und ruhig durchzuatmen, um eine weitere Minute zu überstehen, ohne zu zerbrechen und sich gegen die Wände zu werfen.
Der Boden, auf dem er saß, bestand aus schwarzer Eiche. Die Dielen waren ganz glatt, nachdem sie jahrhundertelang regelmäßig geschrubbt worden waren. Doch jetzt waren sie mit einer schmierigen Schicht bedeckt, die aus Angst, Staub, Schweiß und Schlimmerem bestand. Seit Ausbruch der Revolution hatte hier keiner mehr sauber gemacht.
Victor de Fleurignac hatte auf ihn gewartet.
Ich habe ihm in die Hände gespielt. Liebe ist doch der schlimmste Verräter, den es gibt .
Maggie. Seine Brustmuskeln spannten sich an und wollten sich nicht mehr lockern.
Ein Wachposten, den er vorher noch nicht gesehen hatte, trat in die Tür. Also wechselten mittags die Wachen. Der Mann war mittleren Alters, durchschnittlich groß, wog ungefähr hundert Kilo und trug die Jakobinermütze, die ihn als wahren Revolutionär auswies. Er war besser gekleidet als die anderen Wärter. Vielleicht hatte er eine Frau, die sich gut um ihn kümmerte. Vielleicht war er auch ein Dandy unter den Sansculotten. Oder vielleicht ließ er sich bestechen.
Außerdem konnte er lesen. Er ging eine Liste durch, schaute immer wieder auf und glich Namen mit Gefangenen ab.
Sie geben uns mittags zu essen. Dann zählen sie uns. Wie viele Stunden dauert es,
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