Die Dornen der Rose (German Edition)
würde bis in alle Ewigkeit wissen, wie sich sein Körper anfühlte. Eines Tages, wenn sie alt war, würde sie dieses Wissen wie einen sorgsam gehüteten Brief hervorholen. Doch dann würde ihr Schmerz nur noch dünn und brüchig sein wie altes Papier.
Auch sie würde sich verändert haben. Sie war sich ziemlich sicher, dass alte Frauen diese Art von Schmerz nicht kannten. Als würde die Luft aus lauter Messern bestehen, die bei jedem Atemzug ihre Kehle durchbohrten.
Sie war noch nicht wieder Marguerite de Fleurignac. Sie war immer noch Maggie. Sie würde die Vernunft beiseitelassen.
»Wir können nicht zwei Stunden hier sitzen, ohne Neugier zu erregen. Ich habe eine Freundin, die in diesem Stadtteil nicht weit von hier wohnt.« Sie setzte den Kaffee auf dem Tisch ab und sah ihm direkt ins Gesicht. »Sie wird mir ihr Zimmer zur Verfügung stellen. Begleiten Sie mich?«
16
Doyle ließ Hawker am Fuß der Treppe als Wache zurück und erklomm drei schmale Stiegen bis zu einem Zimmer unter dem Dach. Er brauchte Maggies Freundin nicht kennenzulernen, um nach einem Blick durch den Raum zu wissen, dass sie jung und modebewusst war. Die Kleider, die an Wandhaken hingen, gehörten einem lebenslustigen Mädchen, das als Verkäuferin auf einem der eleganten Boulevards arbeitete. Sie mochte fröhliche, bedruckte Stoffe und rote Bänder an ihren Hauben.
Maggie ging zum Fenster, zog den Vorhang zurück und öffnete das Fenster. »Meine Freundin Jeanne ist nicht da. Sie hat nichts dagegen, dass wir hier sind.«
Wir werden in ihrem Bett Liebe machen. Hoffentlich wird sie auch dagegen nichts haben .
Es war ein sauberer, vollgestellter, aber charmanter Raum. Das Fenster ging nach Osten, und es gab Dachschrägen. Er würde sich den Kopf stoßen, wenn er nicht aufpasste. Manchmal war es auch von Nachteil, wenn man so groß war wie er.
Karren und Fuhrwerke holperten schon früh am Morgen durch diesen Stadtteil und beförderten Gemüse. Es war keine ruhige Wohngegend – dieses Gepolter würde den ganzen Tag über im Hintergrund zu hören sein –, aber jemand hatte sich hier ein heimeliges Nest aus fröhlichen Farben und Lavendelduft, der von der Bettwäsche aufstieg, geschaffen.
Die Freundin war seit ungefähr einer Woche nicht da gewesen. Lange genug, um den Raum verwaist wirken zu lassen, aber zu kurz, als dass sich Staub auf dem Tisch oder der Kommode hätte ablagern können.
Diese Jeanne war ebenso Bestandteil von Maggies Heimlichkeiten wie der Zigeuner und die Frau des Fassbinders in der Normandie. Sie alle gehörten zu La Flèche, da ging er jede Wette ein. Er traute es Maggie zu, dass sie eine Organisation wie La Flèche leitete.
»Ich habe mich immer weise verhalten.« Maggie hielt den Vorhang fest. Er konnte den Schwung ihrer Wange sehen, die sich vor dem Himmel abzeichnete. »Fast mein ganzes Leben lang.«
Nicht wirklich weise. Mit jeder Stunde, die du länger in Frankreich bleibst, setzt du dein Leben aufs Spiel . Aber er war nicht mit ihr hierhergekommen, damit sie sich beide weise verhielten.
Das Bett war ordentlich gemacht und voller blauer Kissen. Der Rahmen knackte, und die Strohmatratze knisterte leise, als er sich auf die Decke setzte, um seine Stiefel auszuziehen. Seine schwieligen Hände blieben am Satin hängen, als er die Kissen beiseite schob. Er meinte förmlich die Stimme seines Vaters wieder zu hören, der sie immer › Bauernpranken ‹ genannt hatte.
Maggie schien das nicht zu stören.
Ich habe die Finger von dir gelassen, Maggie de Fleurignac. Aber das habe ich jetzt gründlich satt .
Was ihr Vater auch getan haben mochte, Maggie hatte keinen Anteil an den Morden in England. Das sagte ihm sein Gefühl, und dem vertraute er. Man konnte nicht immer und überall auf der Hut sein, nur für den Fall, dass die Frau, die man wollte, ein blutrünstiges Biest war.
Sie redete mit sich selber oder mit der Luft draußen und klang wehmütig und entschlossen. »Etwas sagt mir, dass mir nicht mehr viel Zeit bleibt. Nur dieses eine Mal würde ich gern das tun, was Marguerite will. Was Maggie will.« Er konnte sich das Lächeln vorstellen, das auf ihren Lippen lag. Die rechte Seite ihres Mundes verzog sich im Winkel, wenn sie so lächelte. »Denn es ist so … ich habe noch nie in einem richtigen Bett Liebe gemacht.«
Es war, als stünde er draußen in der Kälte und sähe die Wärme im Haus. Und als würde sich die Tür öffnen, um ihn willkommen zu heißen.
»Komm her«, sagte er, und sie kam zu
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