Die Dornen der Rose (German Edition)
Nächste.« Er begrüßte den Bauern hinter ihnen. »Jacques. Du bist früh dran.«
Guillaume klatschte Decorum aufs Hinterteil. Wie aus dem Nichts erschien Adrian und schlüpfte hinter den Eseln hinein. Mittlerweile konnte sie das nicht mehr erschrecken.
»Sechzehn Sous«, erzählte er. »Man könnte meinen, dass sie in diesem Land noch nie was von präparierten Würfeln gehört haben.«
»Hat keinen Sinn, mit dir zu reden, oder?«, entgegnete Guillaume.
15
Es waren kaum mehr als drei Monate, die sie nicht in Paris gewesen war, und doch hatte die Stadt sich verändert. Es gab mehr Schatten in der Stadt, sie war ängstlicher, dunkler. Furcht quoll aus den Ritzen zwischen den Mauersteinen und stieg vom Straßenpflaster auf. Unwillkürlich fühlte man sich an die zwar regelmäßigen, doch weit auseinanderliegenden Besuche bei einer alten Großmutter erinnert, die mit jedem Mal, das man sie sah, ein bisschen schwächer, ein bisschen verwirrter wirkte.
»Wir werden irgendwo einen Kaffee trinken«, sagte Guillaume.
»Das ist mir recht. Ich würde nur alle wecken und in Sorge versetzen, wenn ich zu so früher Stunde einträfe.«
Sie brauchte nichts zu essen. Sie brauchte zwanzig Minuten, die sie noch länger mit Guillaume LeBreton verbringen konnte. Sie verzehrte sich nach seinen Worten. Nach ein paar zufälligen Berührungen; danach, ihn nur noch einmal lachen zu hören.
Sie aßen in einem Café in der Rue de Lombard in der Nähe von Les Halles. Man kannte Guillaume LeBreton im Café des Marchands . Alle nickten ihm grüßend zu, als er sich an einen Tisch setzte. Sie wurde interessiert gemustert. Die Stammkundschaft des Cafés bestand aus Männern und Frauen, die auf dem Markt ihr Geld verdienten, alle hungrig und in großer Eile. Die Brotscheiben in den Körbchen auf den Tischen waren aus feinem Mehl gebacken und besser als alles, was sie in den Bäckereien in den besten Gegenden gesehen hatte. Es sprach einiges dafür, in einem Café zu essen, das von den mächtigen und gut organisierten Händlern von Les Halles frequentiert wurde. Sie konnten die Vorschriften missachten. Auch der Kaffee verriet ihr, dass es einen schwunghaften Handel unter dem Ladentisch gab und dieser nur bestimmten Kunden vorbehalten war.
Adrian sah sich mit schmalem Blick alles genau an, nahm eine Schale mit Milchkaffee mit nach draußen und hockte sich zu den Eseln, um aufzupassen, dass keine Karotten gestohlen wurden. Er wirkte wie eine Katze, die sich in einer neuen, ihr unbekannten Gegend befand und nicht recht wusste, ob sie ihr gefiel.
Guillaume hatte Rotwein bestellt. Er trank ihn in schnellen Zügen, ohne etwas zu schmecken, wie die anderen um ihn herum es taten, als wäre auch er in Eile, mit seinen Gedanken beim Marktstand und den Preisen, die er für sein Gemüse verlangen konnte. Er aß mit akkuraten Bewegungen, nahm einen Bissen vom harten Brot und weichte es mit einem Schluck Wein ein, ehe er anfing zu kauen. So aß die arbeitende Bevölkerung – ungehobelt, aber rationell. Eine stoische Nahrungszufuhr für den Körper. Er war sich ihrer die ganze Zeit intensiv und aufmerksam bewusst. Sie spürte, dass er über sie nachdachte, auch wenn er sie nicht ein einziges Mal ansah.
»Immer noch keinen Hunger?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich glaube, Sie sind in Sicherheit«, sagte er mit sehr leiser Stimme. »An der barrière hing kein Haftbefehl aus. Ich habe genau hingesehen, als wir am Wachhäuschen vorbeikamen. Von Ihren Freunden gab es auch keine.«
Diesen Eindruck hatte sie ebenfalls. Keine Haftbefehle. Das war eine weitere Frage neben all den anderen, die sie schon beschäftigten. Sie hätte gern Guillaume gefragt, was er davon hielt, aber das konnte sie natürlich nicht machen.
Deshalb blieb sie still. Nachdem sie ein paar Mal genippt hatte, meinte sie: »Mir gefällt es hier. Der Kaffee ist sehr gut.«
»Ich komme immer hierher, wenn ich in Paris bin. Wenn Sie den Leuten hier eine Nachricht hinterlassen, bekomme ich sie.«
»Dafür wird sich keine Gelegenheit ergeben. Nach dem heutigen Tag werden wir uns nicht mehr wiedersehen.«
Schon bald würden sie das Café verlassen und zum Hôtel de Fleurignac gehen. Dann würde sie wieder Marguerite de Fleurignac sein. Welten würden zwischen ihr und Guillaume LeBreton – Buchhändler, Spitzbube und Schmuggler – liegen.
Die Uhr ließ sich nicht zurückdrehen, ein einmal zerbrochenes Ei ließ sich nicht wieder kitten. Sie würde nie wieder vergessen … sie
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