Die Dornenvögel
hinter sich zu, stellte die Lampe auf eine Kommode. Mit flinken Fingern öffnete sie die fast zahllosen winzigen Knöpfe ihres Kleides, die vom hohen Kragen bis zum Mittelteil reichten. Sodann zog sie die Arme heraus. Auch aus dem Kamisol befreite sie sich, hielt es jedoch sofort vor ihre Brust. Jetzt schlüpfte sie, ohne das Kamisol loszulassen, mit einiger Mühe in ein langes Nachthemd. Und erst nachdem sie züchtig bedeckt war, legte sie die übrigen Kleidungsstücke ab, Kamisol und Unterhosen und locker geschnürtes Korsett.
Nun zog sie die Nadeln aus dem sorgfältig hochgesteckten Haar. In goldener Flut fiel es herab. Wunderschönes Haar war es, kräftig und voll Glanz und sehr glatt. Doch so aufgelöst, so buchstäblich ungebunden und frei blieb es nur wenige Sekunden. Schon hob Fee die Ellbogen über den Kopf und die
Hände in den Nacken. Rasch und geschickt begann sie, das Haar zu flechten.
Dann wandte sie sich zum Bett herum und hielt unbewußt für den Bruchteil einer Sekunde den Atem an. Doch Paddy schlief, und sie seufzte erleichtert auf. Nicht, daß es nicht nett gewesen wäre, wenn Paddy dafür in Stimmung war, denn er war ein scheuer, zärtlicher, rücksichtsvoller Liebhaber.
Doch ... nun, es war ratsam, mit dem nächsten Kind zu warten, bis Meggie zwei oder drei Jahre älter war.
2
Wenn die Clearys sonntags zur Kirche führen, mußte Meggie mit einem der älteren Jungen zu Hause bleiben, und sie sehnte den Tag herbei, an dem auch sie würde mitfahren dürfen. Padraic Cleary war der Meinung, daß kleine Kinder außer im eigenen Haus in keinem Haus sonst etwas zu suchen hatten, und das schloß Gotteshäuser mit ein. Ging Meggie erst einmal zur Schule, und konnte man darauf vertrauen, daß sie still saß, so durfte sie auch zur Kirche mit. Vorher nicht. Und so stand sie jeden Sonntagmorgen beim Ginsterbusch am Vordertor, traurig, tief bedrückt, während die Familie in den alten Klapperkasten stieg und der als Meggies Hüter abbeorderte ältere Bruder ganz so tat, als wäre er heilfroh, auf diese Weise dem Gottesdienst zu entkommen. Dabei klebten alle Clearys gleichsam mit Elementarkraft aneinander. Der einzige, der da eine Ausnahme machte, war Frank. Er genoß es durchaus, von den anderen getrennt zu sein.
Religion war für Paddy ein unerschütterlich fester Bestandteil seines Lebens. Als er Fee geheiratet hatte, wurde das von katholischer Seite recht unwillig akzeptiert, denn Fee war ein Mitglied der Kirche von England - war es zumindest bis dahin gewesen. Paddy zuliebe gab sie ihren Glauben auf, weigerte sich jedoch, statt dessen seinen anzunehmen.
Weshalb, ließ sich schwer sagen. Allerdings gehörten die Armstrongs zu den alten Pioniergeschlechtern mit dem sozusagen makellosen Wappen des anglikanischen Glaubens, während Paddy ein armer Einwanderer war, dazu noch einer außerhalb des Schoßes ihrer Kirche. Lange bevor dort die ersten »offiziellen« Siedler eintrafen, hatte es in Neuseeland bereits Armstrongs gegeben, und das war so etwas wie ein kolonialer Adelsbrief. Aus der Armstrong-Perspektive ließ sich nur feststellen, daß Fee eine schockierende Mesalliance eingegangen war.
Roderick Armstrong hatte den Neuseeland-Clan auf höchst sonderbare Weise begründet.
Das Ganze begann mit einem Ereignis, das auf das England des 18. Jahrhunderts viele unvorhergesehene Auswirkungen haben sollte: mit dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Bis 1776 waren alljährlich über eintausend verurteilte Verbrecher von England nach Virginia sowie Nord- und SüdCarolina deportiert worden. Dort hatten sie Zwangsarbeit zu leisten unter Bedingungen, die nicht besser waren als jene für Sklaven. Die britische Rechtsprechung zu dieser Zeit konnte nicht anders als grausam und gnadenlos genannt werden. Auf Mord, Brandstiftung, das geheimnisvolle Verbrechen der »Verkörperung von Ägyptern« und Diebstahl (sofern das Gestohlene einen Wert von mehr als einem Shilling hatte) stand der Tod am Galgen. Bei minderen Delikten mußte der Täter mit Deportation nach Amerika rechnen, und zwar auf Lebenszeit. Als dann 1776 die Amerikaner sozusagen die Tore dicht machten, wußte England bald nicht mehr, wohin mit seinen Verurteilten. Die Gefängnisse waren zum Bersten gefüllt. Was sich dort nicht mehr unterbringen ließ, stopfte man in die Rümpfe abgetakelter Schiffe, die in den Flußmündungen festgemacht lagen. Irgend etwas mußte geschehen, und es geschah auch etwas.
Mit großem Widerstreben - weil
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