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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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früher. Sie sah Rain nach dem Abschiedsbrief nicht wieder, zwang ihre Gedanken zu strenger Disziplin und überließ ihren Körper gleichsam der Lethargie.
    Jetzt war alles viel schwerer. Jetzt sah sie ihn wieder, sah ihn ziemlich häufig. Und so drängte sich die Frage ganz von selbst auf: Ob Rain denn jene andere Beziehung zwischen ihnen vergessen habe. Es war doch nicht irgend etwas gewesen. Es mußte ihm doch etwas bedeutet haben. Gewiß wollte sie die alte Beziehung auf gar keinen Fall wieder herstellen. Das war endgültig vorbei. Aber es wäre für sie schon eine Genugtuung gewesen, aus seinem Mund zu erfahren, daß er wenigstens noch gelegentlich daran dachte.
    An das, was mit ihr gewesen war, gottverdammt, und nicht mit irgendeiner anderen!
    Ihr Groll steigerte sich so sehr, daß sie eines Abends die Lady Macbeth mit einem Zug zügelloser Wildheit verkörperte, der ihrer Darstellungsweise sonst fremd war. Danach schlief sie nicht sehr gut, und am nächsten Morgen traf ein Brief ihrer Mutter ein, der sie mit eigentümlicher Beklemmung erfüllte.
    Mum schrieb nicht mehr oft, ein Symptom der langen Trennung, die bei beiden ihre Wirkung hinterließ. Die Briefe waren steif und blutleer. Allerdings - dieser hier klang irgendwie anders. Aber wie klang er eigentlich? Eine Art Gemurmel war es, fast wie ein Raunen, das von Müdigkeit zu sprechen schien und von Alter. Justine gefiel das nicht. Nein, es gefiel ihr ganz und gar nicht. Alt. Mum alt! Was ging auf Drogheda vor sich? Versuchte Mum, ernste Probleme zu verschweigen? War Nanna vielleicht krank? Oder einer von den Onks? Vielleicht sogar, Gott behüte, Mum selbst? Drei Jahre war es inzwischen her, seit sie sie gesehen hatte, und, Herrgott, was konnte in drei Jahren nicht alles geschehen?
    An diesem Abend brauchte sie nicht aufzutreten. Es blieb nur noch eine einzige Vorstellung von »Macbeth«. Doch an diesem Tag schleppten sich die Stunden mit einer qualvollen Trägheit dahin, und nicht einmal die gewohnte Vorfreude auf das Dinner mit Rain wollte sich einstellen.
    Aber was sollte das Ganze auch? Die Freundschaft zwischen Rain und ihr war schal, abgestanden, konventionelles Pi-Pa-Po, ein Ersticken in den üblichen Klischees. Sie schlüpfte in das orangefarbene Kleid, das Rainer so gar nicht an ihr mochte, und natürlich tat sie’s ihm zum Tort. Nur gut, daß sie die Lady Macbeth nur noch einmal zu spielen brauchte. Sie hatte eine Ruhepause dringend nötig. Aber, Herrgott, was war mit Mum los?
    In letzter Zeit kam Rain so häufig nach England, daß sie sich immer mehr wunderte, wie er das mit seinen Pflichten vereinbaren konnte. Sicher war es sehr nützlich, ein Privatflugzeug zu besitzen, aber das allein tat’s ja auch nicht. Und im übrigen mußte es ziemlich strapaziös sein.
    »Warum kommst du mich eigentlich so oft besuchen?« fragte sie unvermittelt. »Die Klatschreporter in ganz Europa mögen daran ja ihr gefundenes Fressen haben, aber ich muß gestehen, daß es mir manchmal so vorkommt, als ob ich dir nur als Vorwand diente, damit du London besuchen kannst.«
    »Ab und zu ist das schon der Fall«, räumte er in aller Ruhe ein.
    »Man kann sogar sagen, daß du mir manchen Leuten gegenüber als willkommene Tarnung gedient hast - als Sand, den ich ihnen in die Augen streuen konnte. Im übrigen bin ich ja recht gern mit dir zusammen, und ...« Er betrachtete sie aufmerksam. »Du wirkst heute abend so still, irgendwie
    bedrückt. Hast du Sorgen?«
    »Nein. Ich meine, nicht direkt.« Sie schob ihren Dessertteller zurück.
    »Jedenfalls scheint es eher eine Kleinigkeit zu sein. Mum und ich, wir schreiben uns ja nicht mehr sehr häufig. Da wir uns so lange nicht gesehen haben, gibt es zwischen uns auch nicht mehr viel zu sagen. Aber heute - heute bekam ich einen sonderbaren Brief von ihr. Ganz und gar nicht typisch.«
    Er spürte, wie es ihm einen Stich gab. Meggie hatte sich viel Zeit gelassen. Doch offenbar hatte sie ihre Entscheidung jetzt getroffen.
    Wenn ihn sein Instinkt nicht völlig täuschte, so war sie entschlossen, ihre Tochter nach Drogheda zurückzuholen.
    Er streckte den Arm vor, nahm Justines Hand. Ihr Gesicht wirkte reifer als früher, was ihr ausgezeichnet stand. Sie hatte ja immer etwas von einem Gassenjungen an sich gehabt, und das schien sich nun allmählich zu verwischen. Sie konnte es brauchen, soviel charakteristische Eigenprägung sie ansonsten auch besaß.
    »Herzchen«, begann er und fuhr dann voll Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst

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