Die Drachen Der Tinkerfarm
gezeigt hast. Ich bin durch Gideons Erkrankung stark beansprucht, Colin. Geh jetzt.«
Mutter und Sohn sahen sich an. Colin wandte sich als erster ab. »Schön. Kommt mit!« Er stolzierte durch eine Tür aufder anderen Seite des Raumes und ließ sie hinter sich zuknallen.
Als Lucinda und Tyler ihm folgten, stießen sie direkt hinter der Tür auf eine steile Treppe, die in einen Flur mit süßlich riechender Holztäfelung an den Wänden hinaufführte. Beim Treppensteigen fragte Tyler: »Und was für Tiere habt ihr jetzt hier außer Kühen? Pferde? Hühner?«
»Ich arbeite nicht mit den Tieren«, erwiderte Colin, während sie dem Korridor erst links und dann rechts herum folgten, vorbei an beiderseits wie Wachposten aufgereihten Türen. »Ich modernisiere die Systeme.« Sein überheblicher Ton war zurückgekehrt.
Na fein, dachte Tyler. Gäste werden mit dem Pferdewagen abgeholt. Tolle Leistung bis jetzt.
Sie gelangten in einen neuen Korridor, der trotz der trüben elektrischen Lampen alle paar Meter im ganzen recht düster war. Die alten, flackerigen Glühbirnen warfen lange, unruhige Schatten und schienen noch aus Edisons Zeiten zu stammen.
»Dieses Haus ist echt verrückt«, murmelte Tyler.
»Es wurde von einem Genie erbaut.« Colin klang richtig entrüstet, als ob Tyler ihn für verrückt erklärt hätte. »Octavio Tinker war einer der bedeutendsten wissenschaftlichen Köpfe aller Zeiten. Sehr wenige Menschen begreifen auch nur einen Bruchteil von dem, was er geleistet hat. Er war der Urgroßonkel eurer Mutter. Sie ist eine Tinker, stimmt’s? Und wenn ihr Glück habt –« Er brach plötzlich ab. Zwei rote Flecken glühten auf seinen Wangen. Tyler fand es merkwürdig, dass dieser schlaksige, dunkelhaarige Typ mehr über ihre Verwandtschaftsbeziehungen wusste als sie. Er machte den Mund auf, um danach zu fragen, aber Colin schnitt ihm einfach das Wort ab, indem er abrupt rechts abbog und sie in einen letzten, sehr kurzen Flur führte, der an einer Wand mit Fenster endete, links und rechts zwei Türen.
Lucinda ließ ihren Koffer fallen und trat ans Fenster. Auf der einen Seite sah sie einen blühenden Kirschbaum – der schönste von etlichen Bäumen draußen – und in der Ferne einen riesigen weißen Betonbau, der wie eine halb im Boden versenkte lange Röhre aussah. Was mochte das sein, fragte sich Tyler, der ebenfalls hinausschaute, eine Art Hangar oder Bunker? Man hätte meinen können, das Ding wäre vom Himmel gefallen und mit einer solchen Wucht gelandet, dass es ringsumher die Erde aufgeworfen hatte.
Colin Needle stieß die Türen zu beiden Seiten des Korridors auf. Die Zimmer waren klein, sauber und haargenau gleich eingerichtet: ein altes Holzrahmenbett mit bunter Steppdecke darüber, ein Schreibtisch und kahle weiße Wände. Das linke Zimmer hatte ein größeres Fenster und eine schöne Aussicht auf den Kirschbaum.
»Das ist meins«, verkündete Lucinda.
»Von mir aus«, sagte Tyler und schmiss seinen Koffer in das andere Zimmer.
»Ich habe zu arbeiten«, erklärte Colin. »Gegessen wird um fünf. Und geht nicht aus dem Haus, ohne dass euch jemand begleitet!«
Tyler schnaubte. »Warum nicht?«
»Weil Mr. Goldring das so will. Genau gesagt habt ihr auf euren Zimmern zu bleiben, bis jemand Zeit hat, euch herumzuführen.«
»Warum? Wegen fleischfressenden Kühen oder was?«
Colin Needle war sichtlich schon wieder verärgert. »Das ist hier eine Farm.« Er sprach wie ein Lehrer zum dümmsten Schüler in der Klasse. »Es gibt offene Brunnenschächte und Gräben, scharfe Geräte und sehr wenig Lampen. Und Tiere,in der Tat, die nicht aufgeschreckt werden sollten. Also bleibt einfach auf euren Zimmern.« Er drehte sich um und schritt steif und gerade wie ein Holzsoldat den Flur hinunter.
»Der letzte Heuler«, sagte Tyler, als Colin fort war.
»So schlimm ist er gar nicht. Ein bisschen verklemmt vielleicht.« Lucinda wuchtete mühsam ihren Koffer aufs Bett. Sie war von den vielen neuen und fremdartigen Eindrücken einigermaßen überwältigt. »Igitt. Ich bin total verschwitzt. Ich will zuerst ins Bad.«
Tyler lachte. »Wir sind hier auf einer Farm, du Barbiepüppchen. Von heute an gehst du im Wilden Westen aufs Plumpsklo.«
»Halt die Klappe, Tyler«, sagte Lucinda. »Du passt vielleicht auf eine Farm, ich nicht.«
»Soll ich dir was sagen? Du bist trotzdem auf einer und –«
Plötzlich ließ ein ohrenbetäubendes Brüllen alles im Zimmer klirren und klappern, auch das Schiebefenster
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