Die Drachen von Montesecco
beschaffen, auch ihre gefühlsmäßige Seite müsse angesprochen werden, und was könne dabei bessere Dienste leisten als die Kunst und speziell die Macht der Töne und Melodien?
Deswegen sei es ja so ein Jammer, daß die schöne alte Orgel in der Kirche schon seit Jahrzehnten nicht mehr spielbar sei, weil das Geld zu ihrer Renovierung fehle, und deswegen sei sie auch so froh, daß der Verstorbene bei all seinem irdischen Reichtum in den Schoß der Mutter Kirche zurückgefunden und an sein Seelenheil gedacht habe, denn – und jetzt gebe sie Benitos Worte wörtlich wieder – er könne sein Geld ja nicht mit ins Grab nehmen.
»Stimmt«, sagte ihr Bruder Franco, »er hat sich wirklich bemüht, es vorher auszugeben. Nach dem Motto: Lasset die hübschen Mädchen zu mir kommen, denn …«
»Schweig!« herrschte Lidia ihn an. »Die neuen Kirchenbänke hatte Benito sozusagen als Bezahlung für die Nutzung des Pfarrhauses fest zugesagt. Was die Orgel angeht, haben wir noch nichts Festes vereinbart, aber daß er mir vertraut hat und daß es ihm nicht ums Geld ging, war eindeutig. Ich schwöre bei Gott, daß er mir gesagt hat: Du wirst schon das Richtige aussuchen!«
Mit Mühe konnte Elena sie vertrösten, ohne feste Zusagen zu machen.
Tags darauf trat Donato an Angelo heran. Donato lebte erst in Montesecco, seit er vor ein paar Monaten in Marisa Curzios Haus eingeheiratet hatte. Er arbeitete in der Bauabteilung der Kommune von Pergola, wo man zwar kein Vermögen verdiente, aber ein sicheres Auskommen fand. Das wenigstens hatte Angelo immer gedacht, doch so wie Donato auf ihn einquasselte, mußte ihm das Wasser bis zum Hals stehen.
»Überlege es dir, Angelo, klar, überlege es dir nur in Ruhe!« sagte Donato. »Aber du und ich, wir wären ein unschlagbares Team. Du hast das Kapital, ich habe die Verbindungen und kenne das Geschäft. Die Toskana ist voll, die Marken liegen schwer im Trend, und da im Norden frieren Millionen und Abermillionen von Deutschen, Engländern, Holländern, Skandinaviern. Sie frieren und träumen von Sonne, Strand, Kultur und Tagliatelle al cinghiale.Und wir werden ihre Träume wahr machen. Wir kaufen auf, was an verlassenen Bauernhöfen zu haben ist, lassen renovieren, einen Swimmingpool graben – die Genehmigungen sind überhaupt kein Problem, das garantiere ich dir –, und dann sehen wir zu, wie sich die Ausländer gegenseitig überbieten. Wir können Millionen machen, Angelo!«
Du willst Millionen machen, dachte Angelo, wir haben sie schon. Und du willst deine Millionen mit unseren machen.
Fast kamen sich Elena und Angelo schäbig vor, daß sie auf diese Vorschläge so mißtrauisch reagierten. Sie hatten ja gar nicht vor, das ganze Geld auf einen Haufen zu kehren und Tag und Nacht darauf sitzen zu bleiben, doch sie fanden es erbärmlich, wie die anderen sich an sie heranwanzten. Beziehungsweise an ihr Erbe. Und sie begannen zu ahnen, daß sie in Zukunft nicht mehr wissen würden, ob die Nachbarn zu ihnen oder zu ihrem Geld »guten Morgen« sagten. Sie würden auf die Untertöne zu hören haben, mußten herausfinden, ob jemand tatsächlich vom Wetter sprach, wenn er sagte, daß es nach Regen aussehe, oder ob er damit dezent darauf hinweisen wollte, daß ihm das Geld zur Reparatur des Hausdachs fehle.
Doch das war nicht alles. Jahre und Jahrzehnte hatten die Bewohner Monteseccos das Feld bestellt und die Hühner gefüttert, waren morgens in die Fabrik gefahren und hatten es nicht erwarten können, abends gemütlich auf der Piazzetta zu sitzen. Sie hatten ein paar Tomaten und Zucchini verkauft und auf die EU geflucht, die ihnen verbieten wollte, den Schafskäse so herzustellen, wie man ihn immer hergestellt hatte. Man hatte sich recht und schlecht durchgeschlagen und war dabei zufrieden gewesen, doch plötzlich schien das alte Leben nicht mehr zu genügen. Es war zu eng geworden, zu unbequem und unmodisch, wie ein Hochzeitsanzug, in den man sich zwanzig Jahre später zu zwängen versuchte.
Etwas Neues mußte her, etwas anderes. Frischer Wind war gefragt, und die Luft in Montesecco schwirrte nur so vor Ideen, Wünschen, Projekten, die unterschiedlicher kaum hätten sein können und nur eins gemeinsam hatten: Sie kosteten alle Geld. Mal viel, wie Ivan Garzones Windparkprojekt oder Milena Angiolinis Plan, das verlassene Pfarrhaus zu einer Wellnessoase umzubauen, mal weniger, wie Sonia Lucarellis Wunsch nach einer kleinen Motorrollerflotte, die der Jugend kostenlos zur Verfügung gestellt
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