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Die Drachen von Montesecco

Die Drachen von Montesecco

Titel: Die Drachen von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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verpraßten, die halbe Welt verhungerte. In Schwarzafrika, in Südamerika, in Vietnam. Er erinnerte sich an seine Überzeugung, daß es keine Unschuld im Reichtum gab, wohl aber das Verbrechen, nicht über die offensichtlichsten Zusammenhänge nachdenken zu wollen. Doch der Gedanke blieb blaß, das Feuer war erloschen, und er fragte sich, ob er klug oder faul oder feige geworden war …
    … Unsereins plagt sich durch die Schule, durch die Uni, dachte Sabrina Lucarelli, und kann sich danach glücklich schätzen, einen Job zu bekommen, für den du nichts davon brauchen kannst. Außer vielleicht ein wenig Mathematik, weil man so mies bezahlt wird, daß man mit jeder Lira rechnen muß. Und du, Benito? Fünfeinhalb Millionen Euro! Das hast du dir doch nicht von der Rente abgespart! Hast du im Lotto gewonnen? Die Bank von Italien überfallen? Hat dir die Mafia aus Versehen die Gewinne aus dem Drogengeschäft des letzten Jahres überwiesen, weil du zufällig genauso heißt wie der Padrone? Oder warst du am Ende seit Jahrzehnten selbst der Padrone, der im geheimen alle Fäden in der Hand hatte? Im Grunde geht es mich nichts an, Benito, aber ich würde trotzdem gernwissen, wie du es angestellt hast, wie du fünfeinhalb Millionen …
    Wie der Wind draußen an den Ziegeln, so zerrten diese Gedanken an dem, was die kleine Welt von Montesecco zusammenhielt, doch nichts davon wurde ausgesprochen. Es blieb in den Köpfen derer verborgen, die sich in der Küche des alten Pfarrhauses eingefunden hatten. Nebenan, hinter der westlichen Wand, ruhte der tote Benito Sgreccia. Verlassen lag er auf einem roten Ledersofa, das Gesicht eingefallen, die Augen geschlossen, als wolle er zeigen, daß all das, was um ihn herum geschah, ihn nichts mehr anging. Es war still. Das einzige, was sich bewegte, waren die Flammen der beiden Kerzen. Sie flackerten in der Luft, die durch das halbgeöffnete Fenster hereinströmte. Draußen pfiff der Wind durch die Gassen. Langsam sank die Sonne zu den Hügeln im Westen hinab, und unaufhaltsam kletterte die Nacht aus ihren unterirdischen Verstecken.

2
Libeccio
    »Also gut, noch einmal«, sagte ich, »der böse schwarze Mann, der dich entführt hat …«
    »Aber ich habe es doch schon hundertmal erzählt«, sagte der Junge.
    »Kein wirklicher Mensch sprüht Feuer aus den Augen!«
    »Der schwarze Mann schon.«
    »Vielleicht gibt es ihn nur in deiner Phantasie«, sagte ich.
    »Nein, er hat mich gepackt und mir mit der Hand den Mund zugehalten und mich fortgeschleppt und eingesperrt.«
    »Er hat dich geschleppt? Die ganzen fünf Kilometer bis zu deinem Gefängnis?«
    »Er hat mich zu seinem Auto geschleppt, in den Kofferraum gesperrt und weggefahren«, sagte der Junge.
    »Was für ein Auto?«
    »Ein schwarzes.«
    »Marke, Nummernschild?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Aber keiner hat dort in der Nähe ein schwarzes Auto gesehen. Und weder im Gras noch auf dem Feldweg waren Reifenspuren zu erkennen«, sagte ich.
    »Vielleicht hat er die Spuren weggemacht. Mit einem Rechen oder so.«
    »Das müßte man sehen.«
    »Ich weiß nicht, wie er es gemacht hat«, sagte der Junge. »Kann ich jetzt spielen?«
    »Nein«, sagte ich. »Was war im Kofferraum des Wagens?«
    »Ein silberfarbener Wagenheber.«
    »Wieso weißt du seine Farbe?«
    »Ich habe ihn gesehen.«
    »In einem stockfinsteren versperrten Kofferraum?«
    »Etwas Schweres hat mich gedrückt, das habe ich unter mir hervorgezogen. Ich wollte es dem schwarzen Mann auf den Kopf hauen, aber er nahm es mir gleich weg, als er den Kofferraum wieder aufsperrte. Da habe ich gesehen, daß es ein silberner Wagenheber war.«
    Es klang glaubhaft. Der Junge verstrickte sich nicht in unauflösbare Widersprüche. Manches wußte er eben nicht, und daß sich nicht alles bis ins letzte Detail klären ließ, war völlig normal. Das war bei dieser Geschichte nicht anders als sonst im Leben auch. Und dennoch, die Zweifel blieben. Ich konnte einfach nicht sicher sein. Was auch immer ich anstellte, ich würde nie völlig sicher sein können.
    »Nochmal von vorn«, sagte ich. »Welche Augenfarbe hat der böse schwarze Mann?«
    Die Beerdigung Benito Sgreccias fand an einem Oktobertag statt, der sich alle Mühe gab, hochsommerlich zu wirken. Die Sonne hing schwer im Himmel, das Thermometer stieg schon vormittags auf fast dreißig Grad. Hinter den Friedhofsmauern schwitzte man in den zu dicken schwarzen Anzügen und Kostümen. Nur die letzten Reihen der Trauergäste ahnten dank der sanften Brise,

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