Die Drachenjägerin 3 - Winter, M: Drachenjägerin 3
absteigen«, sagte Nival. » Wir sind da.«
Ich kann nicht. Nein, nicht einmal auszusprechen vermochte sie das, sich nicht rühren, sie musste warten, bis er sie aus dem Sattel hob, und undeutlich wurde ihr bewusst, dass eine ganze Delegation festlich gekleideter Felsleute zusah.
Irgendwie schaffte sie es, sich gerade zu halten und an Nivals Seite die Stufen hochzusteigen, die Hand auf seinem Arm. Außer diesen Stufen sah sie gar nichts, Stufen aus Fels, glatt poliert von den unzähligen Füßen, die hier schon entlanggegangen waren. Erst als sie oben angelangt waren, drehte sie sich um.
Vor ihren Augen breitete sich eine Stadt aus. Eine Stadt im Fels. In die Berge eingefügt wie eine Maßanfertigung.
Die Häuser, flach und grau wie Steine, waren kaum von der Umgebung zu unterscheiden. Bunte Tücher an den Fenstern wehten im Wind wie gefangene Schmetterlinge. Linn nahm auch endlich das Gebäude wahr, an dem sie hochstiegen – das höchste Haus von allen, das nur aus Treppen zu bestehen schien. Aus breiten, geraden, gekrümmten, schmalen, jeder erdenklichen Art von Stufen und Vorsprüngen, und überall dort, wo Platz war, hockten Kappengeier. Ihre grellen Kopffedern leuchteten mit den Stofffetzen an den Häusern um die Wette. Zwischen ihnen kletterten kleine, pelzige Affen umher, die den hackenden Schnäbeln geschickt auswichen.
» Seid willkommen.« Die tiefe Stimme gehörte einer Frau. Sie konnte nicht viel älter als Linn sein, doch ihr steingraues Gewand war mit unzähligen Edelsteinen besetzt und wies sie als bedeutende Persönlichkeit aus. Linn fand sie recht hübsch – sie hatte ein schmales, fast kindlich wirkendes Gesicht, das von ihrem üppigen schwarzen Haar fast verdeckt wurde. » Seid willkommen«, wiederholte sie, legte die Handflächen aneinander und kniete vor Nival nieder.
» Ihr sprecht unsere Sprache?«, fragte Linn verblüfft.
Die Frau erhob sich wieder. Sie warf Nival einen kurzen fragenden Blick zu, als sei sie sich unsicher, welche Antwort darauf die richtige war. » Ich bin Hariza, Höchste Fliegerin des Felsvolks. Es entspricht meiner Position, mit allen Völkern südlich des Stillen Meeres verhandeln zu können, deshalb beherrsche ich natürlich die wichtigsten Sprachen. Auch wenn der Tag in weiter Ferne liegen sollte, waren wir stets darauf bedacht, unsere Pflichten zu erfüllen, und wenn es nötig ist, können wir wieder unsere Aufgaben übernehmen, wie wir es immer getan haben.«
» Wir bewundern Eure Weitsicht und Euer Wissen«, sagte Nival höflich.
» Worte fliegen leicht«, erwiderte Hariza und verbeugte sich noch einmal.
Zusammen mit der wartenden Schar Felsleute betraten sie den steinernen Palast.
Es war kein Palast für eine Königin. Jedenfalls nicht sichtbar. Die Ausstattung des großen Saales, in den man sie führte, war bemerkenswert schlicht. Die mit bunten Tüchern verhängten Wände boten ansonsten nichts, woran das Auge hängen bleiben konnte – keine Gemälde, keine Verzierungen, nichts. Der Boden war glatt poliert, aber weder aus Marmor noch aus kostbaren Hölzern. Für die Möbel hatte das Felsvolk Material aus dem Sumpf hergeschafft – alle Sitzgelegenheiten und sogar die Tische waren aus Binsen geflochten. Hariza besaß weder einen Thron noch sonst ein Merkmal ihrer Würde. Sie geleitete ihre Gäste an den Tisch, auf dem in schlichten Schüsseln etwas zu essen bereitstand. Linn, die lieber nicht ans Essen denken wollte, betrachtete stattdessen lieber die kunstvoll gebogene Lehne ihres Stuhls. Hinter Nivals Platz stand Arian, ebenfalls leicht grün um die Nase von dem Flug. Sie zwinkerte ihm zu, aber er machte ein grimmiges, abweisendes Gesicht. Irgendjemand musste ihm erklärt haben, dass er während der ganzen Mahlzeit stehen musste, um seinen Herrn zu bedienen.
» Was ist das?«, fragte Nival erschrocken.
In einer Ecke des Saals hockte auf einem Lager aus Stroh ein unglaublich hässliches, nacktes Wesen, das seltsame Geräusche von sich gab.
» Eins unserer Küken«, erklärte Hariza liebevoll. » Sie werden zahmer, wenn sie bei Menschen aufwachsen. Wir füttern es mit Speiseabfällen.«
» Oh.« Der kleine Geier machte selbst Nival sprachlos. » Nun ja, es ist … entzückend.«
Linn überließ Nival die höfliche Plauderei bei Tisch. Er schlug sich tapfer, fand sie, doch vielleicht kam ihr das auch nur so vor, weil die Felsleute allem, was er sagte, voller Ehrfurcht zustimmten. Dass Arian die ganze Zeit hinter ihm stand, schien ihn nicht im
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