Die Drachenkämpferin 01 - Im Land des Windes
plötzlich ein Geräusch, das sich von den anderen merklich abhob. Nihal spitzte die Ohren. Schritte. Sie griff zum Schwert und baute sich in Angriffshaltung auf. »Wer da?«, rief sie unsicher.
Keine Antwort. Rhythmisch hallten die Schritte durch die Dunkelheit.
»Wer da?«, rief sie, nun schon lauter. Stille.
Panik ergriff sie. »Wer, zum Teufel, ist da? So antwortet doch!«, schrie sie aus voller Kehle, während die Schritte mittlerweile nur noch wenige Meter von ihr entfernt waren.
»Schon gut, Nihal, ich bin es.«
Sennar. Es war seine Stimme.
Nihal ließ ihr Schwert fallen und stürzte ihm weinend entgegen. Trommelnd ließ sie ihre Fäuste auf seiner Brust niedergehen, doch als sie seine Arme spürte, die sie fest umklammerten, erwiderte sie, hemmungslos schluchzend, die Umarmung und vergaß ganz, dass er doch eigentlich ihr verhasstester Feind war.
»Komm, weine doch nicht. Ich bin ja da. Es ist alles gut.«
Als Erstes machte Sennar Feuer. Er suchte sich ein paar dürre Zweige zusammen, häufte sie auf und legte seine Hand darüber. Augenblicklich begannen sie seltsam zu strahlen, und kurz darauf schon loderte ein knisterndes Feuerchen in munteren Flammen auf. Nihal hockte etwas abseits. Sie hatte ihre Tränen getrocknet, schluchzte aber noch ein wenig vor sich hin.
»Ich habe mich davongeschlichen. Wahrscheinlich wäre Soana von meinen Besuch nicht begeistert.« Sennar kicherte. »Ich weiß ja, welche entsetzliche Furcht Leute aus dem Land des Windes im Bannwald meistens befällt, und habe mir schon gedacht, wie es in dir aussehen muss. Verzeih, dass ich dich erschreckt habe. Das wollte ich nicht.« Nihal zog die Nase hoch. »Danke.«
»Wofür denn? Feinde soll man sich doch warm halten!«
Das Mädchen lächelte. Sie war froh, nicht mehr allein zu sein. Das knisternde Feuer gab ihr Sicherheit, und plötzlich kam ihr die Lichtung wie ein gemütliches Zimmerchen vor. Sennar machte sich daran, das Abendessen zuzubereiten. »Du brauchst wirklich keine Angst zu haben, Nihal. Glaub mir, hier gibt es niemanden, der dir schaden könnte. Keine bösen Geister und keine Ungeheuer. Wenn jemand böse ist, dann nur die Menschen. Die Natur wird zu deinem Freund, wenn du sie als solchen betrachtest. Sobald du sie nicht mehr fürchtest, nimmt sie dich mit offenen Armen auf. Dies zu erkennen, ist der Sinn dieser Prüfung.«
Er reichte ihr ein Stück geröstetes Fleisch. Es schmeckte köstlich.
Das stärkende Essen und die glücklich überstandene Gefahr machten das Mädchen noch zugänglicher. »Hast du auch diese Prüfung bestehen müssen?«
»Nein«, antwortete Sennar mit vollem Mund, »das war nicht nötig.«
Nihal wurde neugierig und gab auch die letzte Zurückhaltung auf. »Warum war das bei dir nicht nötig? Und warum hast du beschlossen, Magier zu werden? Du steckst so voller Geheimnisse.«
»Du willst also meine Geschichte hören?«
Nihal nickte.
»Dann hast du Glück. Man kann nämlich nicht sagen, dass mein Leben langweilig war. Nichts Umwerfendes, das nicht, aber ich hab schon viel erlebt und bin viel herumgekommen.«
Sennar schlug die Beine übereinander und begann zu erzählen.
»Wie du bereits weißt, wurde ich im Land des Meeres geboren und habe lange in der Nähe der Kriegsfront gelebt. Mein Vater war Knappe eines Drachenritters, und meine Mutter die einzige Frau im Heerlager.«
»So war sie eine Kriegerin!«, unterbrach ihn Nihal mit glänzenden Augen. Sennar lachte. »Nein, sie war nur verliebt. Sie und mein Vater stammten aus demselben Dorf, und als er in die Dienste dieses Ritters trat, ist sie ihm eben gefolgt. Und so kam es, dass ich von klein auf von Waffen umgeben war. Ähnlich wie du.« Er streckte sich im Gras aus. Der Himmel war klar, und die Sterne funkelten. »Hast du schon mal einen Seedrachen gesehen?« Nihal schüttelte den Kopf. »Unglaublichere Geschöpfe kannst du dir gar nicht vorstellen! Sie sind so eine Art geflügelte Schlangen mit Schuppen von einem tiefen Blau, das sich je nach Lichteinfall in vielen Schattierungen fast bis zu Grün verändert. Und sie können fliegen. Sie sind ... einfach ungeheuerlich!«, schwärmte Sennar und blickte zum Himmel hinauf, als zögen dort Drachen ihre Bahnen.
»Nun, um es kurz zu machen, ich liebte Drachen. Und vor allem verstand ich es, mit ihnen zu reden. Die Leute denken ja, nur Ritter könnten mit ihren Drachen sprechen, doch auch ich unterhielt mich mit ihnen, und ihre Jungen waren meine Spielkameraden. Ja, es lag mir, mit allen
Weitere Kostenlose Bücher